Nun war Radok zwar schon in einem Alter, wo die meinsten Männer wieder anfangen, mit dem Gehirn zu denken und weniger mit ihrer Körpermitte, wenn sie eine wunderschöne Frau sehen - aber dieses umwerfende Exemplar hatte eine mehr als verherrende Wirkung auf den alten Mann.

Er stand da wie festgefroren und starrte die rote Frau völlig entgeistert an - und auch Heydu und die Pferde waren schlagartig verstummt.
Alle starrten reglos auf die rote Erscheinung, die sich wie ein Naturereignis vor ihren Augen manifestiert hatte. Sogar die zwei vorwitzigen Mäuschen, die sich im hintersten Stalleck gerade an ein paar herabgefallenen Haferkörnern zu schaffen gemach thatten, um sie für ihren ewig hungrigen Nachwuchs ins Nest zu tragen, saßen mit zuckenden Schnäuzchen da und rührten sich nicht mehr.
Nur der Stallbursche, der vorsichtig hinter Radok bei der halbgeöffneten Stalltüre hereinschaute, drehte sich plötzlich um und sprang in den riesigen Wassertrog, der vor den Stallungen des Gasthofes für durstige Pferde bereitstand.

"Ich konnte ungewaschene Menschen noch nie leiden" sprach der rote Vamp und schnippte sich nachlässig ein nicht vorhandenes Staubkörchen von ihrem ausladenden Dekolleté. Dann blickte sie auf Radok und sprach mit ihrer tiefen rauchigen Stimme, die Radok wohl nie vergessen würde und die ihn seit Ewigkeiten sogar im Schlaf verfolgte:
"Na mein Lieber, wenn ich Dich so anschaue muß ich leider feststellen, daß die Zeit mit mir gnädiger war als mit Dir..."

"Göttin...Es ist lange her, daß Ihr mich zuletzt beehrt habt... " stammelte Radok und sank ehrfürchtig auf ein Knie. Dabei schaute er sich verstohlen um und wagte atemlos eine Frage anzuhängen "Wo ist Euer ergebener Diener, der kleine gestaltwandelnde Dämon Gorn?"

"Waaaas?!?" Radoks Gesicht färbte sich tiefrot und er begann zu stammeln und stottern, als er sich nach Luft ringend an sein Herz griff "Nicht genug, daß Ihr mich schon wieder auf eine endlose Reise voller unbekannter Gefahren schickt - damit kann ich leben, denn Ihr wißt daß ich ohne zu zögern mein Leben für Euch geben würde.
Aber, aber.... dieser lüsterne, gewissenlose Dämon in meinem Haus zusammen mit meiner unschuldigen, gutgläubigen Tochter
Ihr könnt Euch doch wohl noch erinnern, was er bei meiner letzten Mission angestellt hat, als Ihr in dazu gezwungen hat, mir in Pferdegestalt als Reittier zu dienen!"

Radok bibberte am ganzen Körper ob seines losen Mundwerks, da er doch gewagt hatte, der Göttin zu widersprechen und Kritik an ihr zu üben. Aber der Gedanke an Gorn und was er in der Zwischenzeit mit Erin würde anstellen können war einfach zu viel für den alten Mann.
Dabei fiel ihm endlich auf, daß sich die Tiere im Stall immer noch in einer Art Starre befanden, wohingegen der knackige Stallbursche draussen im Waschzuber leise vor sich hinsummte und sich dabei hingebungsvoll mit einem winzigen Stück Seife und einem alten Schwamm am ganzen Körper schrubbte und sogar sein langes Haar schon gewaschen hatte.

Die Göttin hob eine ihrer hochgezogenen Augenbrauen noch etwas weiter an und ihr linker Nasenflügel bebte leise, als sie sich mit einem fast schon hämischen Grinsen und einer wegwerfenden Handbewegung zu einer Antwort herabließ:
"Ach mach Dir keine Gedanken wegen Gorn, der hat sich wirklich sehr verändert, seit du ihn das letzte Mal gesehen hast. Wirklich. Vermutlich liegt es daran, daß ich ihn letztendlich doch kastrieren lassen mußte..." Die Göttin seufzte kurz "Schade eigentlich, wenn ich mich so zurückerinnere." Für ein paar Sekunden meinte Radok, ein maliziöses Grinsen auf ihren erhabenen Zügen erkennen zu können.
"Ich werde Dir ein neues Reittier zur Verfügung stellen, da Dein Kunibert inzwischen nicht mehr für solche Aufgaben geeignet ist. Du wirst ihn mit einer Nachricht zurück schicken. Aber Heydu darfst Du mitnehmen auf die Reise...ich denke das Schmunzelmonster liebt fette junge Hunde!"

Unterdessen trug sich in dem kleinen Land hinter den Bergen bei den 7 Zwergen eine ganz andere Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes zu:

Während die älteren und größeren Zwerge Pepe, Dumbo und Filou gerade dabei waren, die heurige Kürbisernte auf den alten kleinen Holzwagen zu heben, stürzten zwei der kleineren Zwerge aus dem Gebüsch, hochrot im Gesicht und völlig außer Atem.
Eigentlich waren sie ja ausgezogen, um das magische Einhorn zu bitten, ob es wohl so freundlich wäre, um den Wagen zum Zwergenhaus zu bringen. Schließlich liebte das Einhorn Luna vor allem in den langen kalten Winternächten die warme, gelbe, dicke Kürbiscremesuppe die Dumbo so meisterhaft zu kochen verstand. Und daher war es auch selbstverständlich, daß sich Luna regelmässig zur Kürbisernte auf dem Acker einfand, wo regelmässig die dicksten und größten Kürbisse wuchsen.
Denn so ein kleiner Zwerg schaffte es vielleicht die Kürbisse auf den Wagen zu hieven, aber den hoch aufgeladenen Wagen heil zurück zum Haus zu bringen, wo die Kürbisse im eigens angelegten Kürbiskeller gelagert wurden, war immer schon Aufgabe des Einhorns. Es hatte ja auch schon beim Einbringen der Karotten, Tomaten und all dem anderen Gemüse geholfen.

"Sie ist weg!!!!" brüllte Pepsi schon von weitem "weg!!weg!!weg!!" echote Düsi und rang verzweifelt nach Luft.
Filou ließ den dicken orangen Kürbis fallen, den er gerade in Händen hielt und leider fiel er genau auf den großen Zeh von Pepe. Der klammerte sich daraufhin laut aufheulend an die Seitenwand des Karrens - nicht bedenkend daß diese Wand nur mehr lose in der ohnehin schon morschen Halterung steckte. Und die Halterung beschloß in just diesem Moment, daß es irgendwann einfach genug ist:
Kürbisse in Zaum halten ist ja schon anstrengend genug, aber einen dicken Zwerg aufrecht halten - auch wenn er noch so klein ist - ging einfach über ihre Belastungsgrenze.
Mit einem leisen "Plopp" löste sich die langjährige Verbindung von Karren und Seitenwand und die ganzen bisher aufgeladenen Kürbisse ergossen sich über den völlig unschuldigen Dumbo.
Der arme Kerl sah das Unglück nicht einmal kommen, stand er doch gerade ganz gebückt neben dem Karren, um sich eines der Schuhbänder seiner Gummistiefel zuzubinden.

"Ups" murmelte Pepsi ob der von ihm ausgelösten Kettenreaktion und versuchte sich unauffällig hinter Düsi zu verkrümeln.
Schließlich hatte der den breiteren Rücken und weit mehr Erfahrung beim Lösen von schier unmöglichen Aufgaben.


"Wer ist weg?" schrie Filou und "Ja sagt mal, glaubt Ihr wir machen uns zum Spaß hier zum Affen??" brüllte Dumbo unter dem Kürbisberg hervor, während Pepe noch immer leise jammernd seinen Zeh umklammerte und schluchzend ein "der ist bestimmt gebrochen" nuschelte.

"Sie ist weg! Einfach so weg! Das Sternchen ist verschwunden!" krähte der Düsi ganz aufgeregt. "Futzi und Schatzi sind dort geblieben und helfen Luna gerade bei der Suche, während Ihr Euch hier vergnügt" traute sich Pepsi aus der vermeintlichen Sicherheit hinter Düsis Rücken, mit einem leicht vorwurfsvollen Ton in der Stimme, zu ergänzen.
"Los kommt und helft uns suchen" forderte Düsi die anderen 3 auf, nicht ohne einen sehnsuchtsvollen Blick auf den immerhin noch halbvollen Jausenkorb zu werfen. "Wobei... meint Ihr wir können vorher noch ein 3. Frühstück einnehmen, schließlich sterbe ich schon den ganzen Vormittag vor Hunger?" Pepsi nickte zu den letzten Worten, duckte sich dabei aber vorsichtshalber wieder etwas mehr hinter Düsis Rücken, als er die Blicke der älteren Zwerge sah.

"Nix da!" kommandierte Dumbo "helft mir hier raus, und dann sputet Euch und verständigt den Gendarmen. Der soll seinen Dackel mitnehmen und eine Suchmannschaft zusammenstellen! Wir sind erledigt wenn herauskommt, daß es irgendwer geschafft hat, das einzige lebende Einhornfohlen zu entführen während es in unserer Obhut war!"

Erin räkelte sich in den Laken und schlug schön langsam die Augen auf. Noch nie zuvor hatte sie so gut und tief geschlafen und dabei so realistisch geträumt. Eigentlich, wenn sie so über den Traum nachdachte, begannen ihre Wangen zu glühen und eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht.
Sie schlug die Augen auf und erschrak zutiefst:

Draussen schien die Sonne und es war mindestens schon früher Vormittag! Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie verschlafen oder den krähenden Haushahn überhört, der immer lautstark den Tag begrüßt.

Verwundert blickte sie sich im Zimmer um, da ihr der abendliche Wolpertingerbesuch einfiel. Doch der war nirgendwo zu sehen. Dafür roch es unheimlich einladend im Haus nach Kaffee und frischen Brötchen und noch ein Geruch, den sie nicht gleich zuordnen konnte.

Als sie sich vorsichtig aus dem Bett wagte und vorsichtshalber ihr Gewand zusammenraffte um es schnell in einer dunklen Ecke anzulegen, erblickte sie durch die halboffene Türe zu ihrer Kammer den Schatten eines Mannes.
Er war nicht sehr groß gewachsen, unheimlich dünn und er schien ausgesprochen schütteres Haar zu haben.
Verwundert beobachtete sie, wie dieser Mann in ihrer Küche die verschiedensten Küchenutensilien in die Hand nahm, aufmerksam studierte und wieder weg legte.

Als sie sich neugierig vorbeugte, um ihn besser sehen zu können verschwand er jedoch mit einem zischenden Geräusch und stattdessen saß der kleine Wolpertinger vor dem Herd, der jedoch noch immer den großen Schöpflöffel in der Hand hielt, den der dürre Mann gerade zuvor betrachtet hatte.

Erin schrie kurz auf und wich erschrocken zurück als sich der kleine Fremdling langsam zu ihr umdrehte und mit hoch erhobenem Küchengerät in ihre Kammer kam. Doch dann bemerkte sie die hochgezogenen Mundwinkel und interpretierte es als Lachen auf der freundlich erscheinenden Miene des Eindringlings.
Und richtig - es ergriff ihre Hand und zog es zu dem reich gedeckten Frühstückstisch, wo sie frischen Kaffee, einen Stapel Pfannkuchen, ein paar hart gekochte Eier und frisch gebratene Hühnchenkeulen entdecken konnte.

Erin beurteilte die Prioritäten des Lebens sehr pragmatisch und so setzte sie sich an den Tisch und langte herzhaft zu.
Die frischen Hühnchenkeulen nagte sie mit besonderem Genuss ab, wußte sich doch daß sie nie wieder von dem penetranten Hofhahn frühmorgens aus dem Bett gekräht werden würde.

Der Wolpertinger sah ihr eine zeitlang zu, bevor er mit einer recht weibisch anmutenden Geste den Suppenlöffel wieder an seinen Platz legte, sich umdrehte und tatsächlich mit wiegendem Hüftschwung in der Kammer verschwand.
Nachdem der kleine Eindringling die Türe fast gänzlich geschlossen hatte, hörte Erin wiederum dieses zischende Geräusch.
Aufgeregt sprang sie auf und hielt sicherheitshalber den Hühnerknochen wie eine Waffe vor sich, als sie sich neugierig der Türe näherte.

Da erklang eine heisere Stimme, die sich so knarrig und kratzig anhörte, wie wenn der Sprecher es nicht gewohnt wäre, sie zu verwenden: "Bleib weg von mir, dann können wir uns unterhalten"
Erin keuchte erschrocken auf und wich einen Schritt zurück - ohne den Knochen sinken zu lassen.
"Dieses elendige Miststück" schimpfte die Stimme mit zunehmender Emotion " Es reichte ihr nicht, daß sie mich meiner Männlichkeit beraubte! Schau mich nicht an! Ich bin nur mehr ein Schatten meiner selbst und sogar mein schönes Langhaar ist mir ausgefallen! Nein - dieses böse Weib macht es mir auch unmöglich, in Anwesenheit eines anderen Menschen meine Gestalt zu ändern!"
"Deine..... Gestalt zu ändern...??" flüsterte Erin stimmlos zurück.

"Klar, glaubst Du es macht mir Spaß, nur als Wolpertinger durchs Leben zu rennen?! Gestaltwandeln ist ein Spezialdisziplin von mir - allerdings habe ich noch einige andere tolle Talente, in denen ich einfach spitze bin... äh.... war" klang es durch die Türe.

"Und welches sind deine anderen tollen Talente?" fragte Erin etwas selbstbewuster mit einem Anflug von Lächeln ob der jammernden Stimme hinter der Türe und mit einem Blick auf den einmalig gedeckten Frühstückstisch.