Turkmenistan – Land der Widersprüche

Ich habe mich selten schneller auf eine Reise vorbereitet, 3 Stunden intensive Recherche, Reiseblogs lesen, packen und umpacken.
Turkmenistan gehört zu den verschlossensten Ländern dieser Welt. Es werden jährlich nur ca 900 Besuchervisa erteilt! Der Flieger ab Frankfurt war ziemlich voll, aber fast alle Passagiere stiegen in Baku aus, nur ca 12 Personen flogen weiter nach Ashgabat. 6 davon eine Reisegruppe, die Transitvisa (maximal erlaubter Aufenthalt 5 Tage und zwingende Weiterreise in ein Drittland) hatten und vermutlich eine Studienreise entlang der alten Seidenstraße machten. Und wir drei Konferenzteilnehmer.

Für 20 USD gab es dann im Tausch gegen das Einladungsschreiben der Regierung ein Visum, dann weiter zur biometrischen Erfassung (Paß scannen, Fingerabdrücke, Gesichtsfelderkennung, Iris-Scan) und weiter zu einem Immigrations-Beamten der eindringlich nach dem Reisezweck und meinem Hotel fragte. Dann telefonierte er doch nochmal mit einem Vorgesetzten bevor ich den benötigten Stempel ins Visum erhielt. Nach der Gepäckausgabe nochmal eine Kontrolle und wieder streng blickende Soldaten.

Das Hotel war dann mitten in der Nacht nach einem einfach nur „herzlich willkommen“, denn es war mitten in der Nacht und ich war todmüde. Trotzdem war schon die Fahrt dorthin beeindruckend: riesige Boulevards, kaum Autos, riesige Gebäude, alle weiß und mit Marmorfassaden, Parks und Alleen, überall illuminierte Springbrunnen – und das mitten in der Wüste!

Man muß wissen, der derzeitige Präsident ist von Haus aus Zahnarzt und hat einen Weißfimmel. Alle Autos müssen weiß und sauber sein, wer eine andere Farbe haben will oder ein dreckiges Auto hat, zahlt eine Strafe an die allgegenwärtigen Soldaten. Fotografieren im Regierungsviertel ist untersagt, ebenso soll man keine Bilder von Soldaten, Polizisten, öffentlichen Gebäuden und Denkmälern machen. Also eigentlich gar nichts. Und wie einer der Konferenz-Teilnehmer sagte „you are never alone in a country like this“ – Big Brother überall. Ich fühlte mich stark an die ehemalige UdSSR oder DDR erinnert. Und bitte nichts Schlechtes über den Präsidenten sagen! Der Personenkult erinnert an Mao oder die nordkoreanische Kim-Familie. Aber auch das darf man nicht laut sagen…

Und damit Ruhe und Ordnung herrscht und mögliche Kriminalität keine Chance hat, gilt ab 23:00 eine Ausgangssperre für alle! Nur Fahrten per PKW/Taxi nach hause sind noch gestattet – unter den kritischen Blicken der allgegenwärtigen Soldaten.

Dafür sind alle Gebäude beleuchtet, teilweise sogar bunt mit wechselnden Farben! Energiepreise scheinen in Ashgabat keine Rolle zu spielen.
Überhaupt ist diese Stadt einfach nur riesig und überdimensioniert. Unwillkürlich kamen Gedanken an Germania auf. Nur hier wurde der gigantomanische Plan einfach umgesetzt. Es mußte ja auch nichts zerstört werden, denn das alte Ashgabat war in den 40er Jahren einem heftigen Erdbeben zum Opfer gefallen.

Den Dienstag hatte ich frei und nach einem späten und überraschend guten und reichhaltigen Frühstück, wechselte ich Dollar in Manat um. Natürlich zum offiziellen Kurs 1:3,5. Auf dem Schwarzmarkt bekäme man einen besseren Kurs, aber auch das ist streng verboten und riskant für Ausländer. Los ging es mit dem Taxi zum Russischen Basar, einer Markthalle wie ich sie aus vielen Ländern kenne. Hier gibt es Obst, Gemüse, Kleidung, Pflegeartikel, Käse, Kräuter, Honig, Kuchen und Kekse und alles, was das Herz begehrt. Zwar in überschaubarer Menge und gemessen am offiziellen Wechselkurs recht teuer, aber alles frisch.

Mit 2 Gläsern Honig, einmal Rosenhonig und einmal Kameldornhonig, einem Tütchen falschem Safran und Kräutertee machen wir uns zu Fuß auf den Heimweg. Vorbei an Geschäften, in denen man Stoffe und Stickmuster kaufen konnte. Mehr dazu später! Armin, mein bosnischer Begleiter und Mit-Veranstalter der Konferenz und ich laufen über riesige Boulevards und weitläufige Parks. Ein Brunnen mit 10 Pferden fasziniert uns, wir machen unauffällig Fotos, denn es scheint niemand in der Nähe zu sein. Meine Kamera verschwindet in einer verdeckten Brusttasche im Hemd, was gut so war. Nach etwa 500 m und gefühlt 20 Wachtposten werden wir von einem Uniformierten angehalten, der sofort auf Armins Handy zeigt: „Fotos“. Armin öffnet die Galerie und sofort heißt es „No“ bei dem Brunnenbild. Er muß sein Handy übergeben und das Bild wird gelöscht!
Glück gehabt, daß es so glimpflich von statten ging, anscheinend hatte niemand Laune bei über 30 Grad im Schatten lange Berichte zu schreiben.

Leider war das Nationalmuseum an diesem Tag geschlossen, deswegen blieb nur der Nachmittag am Pool und ein kurzer Spaziergang unter den kritischen Augen der Soldaten.

Um das Hotel herum waren diverse Fakultäten der Universität, auch alles in nagelneuen, marmorweißen Gebäuden mit bunten Kuppeln untergebracht. Die Studentenbekleidung für Männer sind schwarze Hosen, weißes Hemd und ein buntes Käppi. Die Damen tragen traditionelle rote Kleider und auch ein Käppi über den langen Zöpfen.

Die Kleiderordnung schien sich am nächsten Tag bei der Konferenz fortzusetzen: die Herren im dunklen Anzug, die Damen entweder in Uniform (Turkmenistan Airlines) oder im traditionellen langen Kleid mit Stickereien am Halsausschnitt und den Ärmeln, dazu die Haare hochgesteckt unter einem bunten Kopftuch.

Leider ergab sich dann ein weiteres Problem in diesem reglementierten Staat: da wir länger als drei Kalendertage blieben, müssen wir uns bei der Ausländerbehörde registrieren! Zum Glück haben das die Mitarbeiter der OSZE für uns übernommen, aber damit haben wir unsere Päße abgegeben und hatten somit keinen Nachweis, daß wir legal im Land waren – sollten wir in eine der vielen Kontrollen geraten. Dünnes Eis…..

Mittwoch abend gingen Andrew, Armin und ich aus zum Essen. Ein kleiner Fußweg, durch einen Park, dann sollten wir auf ein Restaurant treffen, das gute Kritiken hatte. Fehlanzeige, dieses Restaurant gab es nicht mehr. Das Steakhaus nebenan war dann unsere nächste Wahl: hochmodern eingerichtet, ein Kühlschrank mit Dry Aged Beef, die Speisekarte mehrsprachig (turkmenisch, russisch, englisch) auf einem Tablet! Ich entschied mich für „Chicken Royal“, das sah auf dem Bild gut aus: Hühnerbrust in Sahnesoße mit einem Deckel aus Fladenbrotteig überbacken. Sehr lecker!
Zeitlich lagen wir gut, aber die Sperrstunde rückte näher. Andrew meinte, es sei sicherer, ein Taxi zu bestellen, denn wir könnten uns ja nicht ausweisen. Stimmt! Das war dann nochmal eine Herausforderung, die wir gemeinsam mit der Hotelrezeption telefonisch lösten, denn ein „offizielles“ Taxi zu organisieren ist ungefähr so wie am Frankfurter Flughafen einen Kapitän zur See zu finden. Bis wir im Hotel waren, war die Sperrstunde gefährlich nahe gerückt!

Am Donnerstag überraschten mich die beiden Vertreterinnen des turkmenischen Justizministeriums mit einem ganz besonderen Geschenk: zwei bestickte Muster, um einen Kleiderausschnitt auf turkmenische Weise zu verzieren! Hatten sie meine Komplimente für die schönen Trachten als Auftrag aufgefaßt? Oder hatte sich rumgesprochen, daß „die deutsche Touristin, die russisch spricht und auf dem Basar war“ leider nicht genügend Manat dabei hatte um sich selbst so ein schönes Stück zu kaufen? Ich war gerührt von der Herzlichkeit der beiden Damen ganz außerhalb des Protokolls!

Zum Glück hatten die Fahrzeuge der OSCE und der UNO Diplomatenkennzeichen, so konnte ich aus dem Auto heraus ein paar Fotos von unterwegs machen: ein Olympiastadion, das für die World Asian Games 2017 aus dem Boden gestampft wurde – natürlich in weiß und mit vielen Pferdeverzierungen.

Ein Denkmal für das heilige Buch, eine Moschee für 10.000 Besucher und Kunstwerke in jedem Kreisverkehr.

Verläßt man die Prachtstraßen, sieht man die typischen 3-4geschossigen Wohnhäuser der Sowjetzeit. Aber auch diese sind weiß gestrichen. Und im Gegensatz zu europäischer, auch osteuropäischer Architektur sind selbst die fensterlosen Fassaden mit einfachen Ornamenten geschmückt. Genauso wie die Geländer an den Straßen, die Straßenlaternen, Parkbänke oder die vollklimatisierten Bushaltestellen!

Nach der Konferenz hatten wir noch Zeit, aber immer noch keine Päße! Sebastien, ein belgischer Teilnehmer, hatte über das Hotel einen Fahrer organisiert, der ihn zu einer Seilbahn in die Berge und wieder zurück bringen wollte. Um 17:00 sollte Abfahrt sein – aber nur mit Päßen.
Um 16:50 war ich an der Rezeption, Fehlanzeige. Um 17:00 dann kam der Fahrer der OSZE und brachte die heiß ersehnten Dokumente! Wir überlegten nicht lange und fuhren zu viert los: Kei, ein Japaner, Sebastien, Armin und ich. Der Hoteldirektor hatte uns noch den Tip gegeben „stellt Euch immer zu viert an, dann bekommt Ihr niemanden in die Gondel gesetzt“. Ah ja. You are never alone in a county like this….

An der Seilbahn angekommen, zückten wir gleich die Kameras. Aus der Ferne ist Ashgabat ein Traum in weiß inmitten der Karakum-Wüste. Auffallend sind die Aufforstungsflächen rund um die Stadt. Mit Wacholder, Kiefern und anderen widerstandsfähigen Pflanzen soll der Sand draußen und die Feuchtigkeit drinnen gehalten werden.

Die Fahrt mit der Seilbahn führt über „neutral territory“. Ein Tal auf dem Weg zur Bergstation gehört zum Iran und ist entsprechend abgetrennt und gesichert. Auch in den Bergen konnten wir mehrere Unterstände und Stationen ausmachen, inkl. patroullierender Soldaten. Später konnte ich beobachten, daß sie ein Grillfeuer anzündeten.

Es war gut, daß wir zu viert waren, so konnten wir in Ruhe fotografieren!
Das Licht in den Bergen war ein Traum! Unter uns waren Wildpfade zu sehen, ein kleiner Falke landete hinter uns auf dem Drahtseil. Und oben auf der Bergstation wohnten wilde Hamster.

Zurück in der Stadt und mit vielen Fotos im „Gelöscht“-Ordner war es Zeit zum Abendessen.

Diesmal führte uns unser Weg in ein Café in der Nachbarschaft. Laute Musik, bunte Lichterketten, gut besucht. Das Essen war bodenständig, reichlich und heiß. Und natürlich wurden wir belagert – von einer Katze, die unbedingt etwas vom Hühnchen haben wollte .

Was uns bei Ankunft nicht aufgefallen war: die Terminalfassade in Ashgabat ist einem riesigen Vogel nachempfunden, der seine Schwingen über dem Gebäude ausbreitet. Angeblich eine der größten frei tragenden Skulpturen der Welt. Ohne Superlative geht in dieser Stadt gar nichts.

Noch mehr Bilder

Die Ausreise war ähnlich „kontrolliert“ wie die Einreise: Check-in, Paßkontrolle, Sicherheitskontrolle, biometrische Kontrolle, nochmal Sicherheitskontrolle, nochmal eine Paßkontrolle…..
Nur diesmal war unser Auge geschult: die Torsonden piepten jedesmal, wenn jemand durchging, aber keiner kam zum kontrollieren. Das Gepäck lief durch einen Scanner, das interessierte aber niemanden. Lieber verläßt man sich auf Soldaten und Grenzbeamte, die die Reisenden eindringlich befragen und die Päße genauestens betrachten.

Schade, daß unser Aufenthalt so kurz war. Und schade, daß sich das Land so sehr abschottet, denn es hätte sicher Potenzial für interessierte Reisende: der brennende Krater von Derweze, die alten Siedlungen von Nissa und Merw, die Berge in ihrer kargen Schönheit und die Menschen, die trotz konstanter Reglementierung immer wieder ihre Offenheit und Herzlichkeit durchblitzen lassen.
Und natürlich DAS Nationalpferd Turkmenistans, der Achal Tekkiner!
Es gibt in diesem Land sogar ein eigenes Ministerium für Pferde und einmal im Jahr wir der "Tag des Pferdes" gefeiert. Da würde ich zu gerne nochmal hinfahren!

LG
Ameli

Amelie, Danke für diesen tollen Bericht und die schönen Bilder! Mal so ein abgeschottetes Land (warum sind sie das eigentlich?) besuchen zu dürfen ist sicherlich ein besonderes Erlebnis. Ich hätte allein schon wegen der Militärpräsenz ziemlich Muffe Sehr Klasse ist natürlich das Kneipenbild mit dem Pepsie Schirm - ganz so krass ist die Abschottung dann wohl doch nicht Das Flughafengebäude ist der Hammer, wurde dort wahrscheinlich in einem Jahr gebaut und würde hier in 20 Jahren noch nicht fertig sein Das sind großartige Eindrücke, die Du uns mitgebracht hast, Danke nochmal

Vielen Dank für Deinen Bericht! Faszinierend und wirklich sehr schade, dass das Land sich so abschottet.

Welch spannender Bericht! Ein Erlebnis das man lang nicht vergisst und von dem man sicher oft erzählen kann. Was war das für eine Konferenz?

Wow, was ein Erlebnis. Mir geht es allerdings wie Sonriente und ich hätte teilweise ordentlich Muffensausen bekommen. Danke für den tollen Bericht und die Bilder!

Wow Ameli, das ist ja ein Reiseerlebnis, was Seinesgleichen sucht. Vielen Dank für den umfangreichen Bericht.

Mich erinnert die Einreise ein wenig an Peking, als wir vor ein paar Jahren dort ein paar Tage Urlaub machten, um uns den alten Teil der Stadt und die große Mauer anzusehen.

In so einem Land wie Turkmenistan hätte ich genauso viel Bammel, etwas falsch zu machen, wie damals im Iran in Teheran. Da mochte ich kaum vor die Tür gehen...

wow, wasx für ein bricht, da bekommt man selbst lust hinzureisen :-)
schade das es so ein überwachungsstaat ist und es somit sehr kompliziert ist, da einzureisen...
tolle bilder, herzlichen dank für dein aufopferung :-)

Hallo,
das war eine Konferenz von UN-IOM (International Organization of Migration) und OSCE zum Thema Passagierdatenübermittlung an Behörden. Ich war als Referentin 'aus der Praxis' dabei.

LG
Ameli