Ihr seid so lieb! Ich bin ganz gerührt und wünsche mir jetzt doch den "rotwerd Smiley".
Natürlich habe ich auch noch eine Geschichte mitgebracht, in der allerdings diesmal wieder mein Schecki die Hauptrolle spielt:
Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt oder Nationalhymne und Luftballons
Nachdem Irco aufgrund seiner Verletzung aus dem Turniersport ausschied, quittierte ich den Dienst im Sattel gleich mit, denn irgendwie gehörten wir eben zusammen und einzeln waren wir nur eine Hälfte vom Ganzen.
Ein Pferd ohne Reiter ist noch immer ein Pferd - doch ein Reiter ohne Pferd ist nur ein Mensch.
Und ich war ohne Irco eben auch kein Reiter mehr.
Mit dem Gedanken hatte ich mich auch schon angefreundet, als am Montag dem 25. Juli 2005 das Telefon klingelte und sich ein Herr vom Hof Kasselmann meldete, der mich fragte, beziehungsweise annahm, dass ich wüsste, dass die Europameisterschaft der Dressur, welche ursprünglich in Moskau hätte stattfinden sollen nun nach Hagen im Teutoburger Wald, auf die Anlage von Ullrich Kasselmann verlegt wurde, nachdem es in Russland finanzielle Probleme gegeben hatte.
Natürlich wusste ich das, denn in den Fachzeitschriften wurde ja intensiv über das Thema geschrieben und da wir so ziemlich alle Pferdehefte im Abonnement erhielten, hatte auch ich das längst gelesen.
Nun kam er aber gleich anschließen zur Sache und erklärte mir, dass nachdem wir wenige Wochen zuvor bei Kasselmanns Ausstellung für Reitsport und Lifestyle Horses and Dreams, welches immer mit einem internationalen Turnier einhergeht, als Schaubild mit unserem Scheckenhengst Charming Irco aufgetreten waren, er uns nun fragen möchte, ob wir eventuell noch einmal bereit wären, nun im Programm der Eröffnungsfeier für die Dressur EM mit Irco mitzuwirken.
Ich gebe zu, der Gedanke gefiel mir gut, denn die drei Tage in Hagen hatten uns viel Spaß gemacht und Irco genoss es, wieder einmal eingeflochten und turnierfein gemacht an einer Veranstaltung dabei zu sein, denn er verreiste in unserer gemeinsamen Sportlaufbahn nicht nur ausgesprochen gern, sondern er schien es nun geradezu zu vermissen uns schielte immer sehnsüchtig zum Anhänger hin, wenn der mit geöffneter Rampe bereit stand.
Für ihn hatten die Fahrten in der Vergangenheit immer bedeutet, im Mittelpunkt zu stehen und bewundert zu werden und dass es dem Berufschauvinisten Freude machte, wenn er ins Rampenlicht treten durfte, wusste ich, nachdem wir zahlreiche Messeauftritte zusammen absolviert hatten, denn dann ließ er den ganzen Trubel, die Hektik und die Zuschauermassen gelassen an sich vorbeifließen, solange er in der Box stand, er für eine Vorstellung fertig gemacht wurde oder wir irgendwo standen, weil wir warten mussten bis wir an die Reihe kamen.
Vielfach wurde uns deshalb unterstellt, dass wir ihm „etwas in den Tee gegeben“ hätten, aber ich schwöre auf die Bibel: Tranquilizer brauchte Irco nie!
Seine stoische Ruhe brachte ihm zahlreiche „Nebenjobs“ von den Standnachbarn an den verschiedenen Messen, denn immer wieder bat man uns, ihn für diverse Produkte als lebendes und durch seine Scheckung auch außergewöhnliches Objekt für Demonstrationszwecke zur Verfügung zu stellen, weil sich die Blicke ständig auf ihn richteten und so marschierte Irco auf dem Laufband, stand unter einer Magnetfelddecke oder einem Solarium und trug als Mannequin die neuesten Trends der Pferdebekleidung durch die Hallen spazieren.
Auch das Eis holen oder das besorgen des Mittagessens für das Standpersonal oblag mir und ihm und so ritt ich ihn meist ohne Sattel über das Ausstellungsgelände und wusste, dass ich mir dabei nie Sorgen machen musste, dass er mich blamiert, indem er mich auf den harten Boden der Tatsachen zurückbefördert.
Besonders aufregend war jedoch das Erlebnis, welches wir vor der Abreithalle teilten, denn die war eigentlich nur eine Art stark überdimensionierte Zeltbox, in deren Inneren sich bereits vier riesige Percheronhengste tummelten, die sich mit ihren vier solide beschlagenen, eisenbewehrten Riesenhufen durchaus verstanden genügend Raum zu schaffen, weshalb wir es vorzogen, draußen zu bleiben und auf dem Pflaster Schritt zu reiten.
Viel Platz war zwar auch dort nicht und die IG Welsh blockierte den schmalen Gang rechts neben dem Abreitzelt mit einer mit vier Welsh A-Ponys bespannten Kutsche, die mit zahlreichen, munter im Wind wehenden Wimpeln und Fähnchen geschmückt war und einer Auswahl der Variantenvielfalt dieser Rasse, denn unter dem Sattel präsentierten sich Welsh B und Welsh C- Ponys und Welsh Cobs.
Links vom Zelt passte eigentlich auch keine Briefmarke mehr hin, denn dort war eine Art Roundpen aus Metallgattern angelegt worden, auf dem sich eine Islandpferdeherde mit zirka zwanzig Isis befand.
Blieb also nur die ungefähr zweihundert Quadratmeter kleine Fläche zwischen Abreitzelt und dem Eingang zur Schauhalle, auf der sich bereits die nächsten Teilnehmer der Schau drängelten, die auf ihre Vorführung warteten.
Aber mit Irco was das klein Problem, denn er musste nie in dem Sinn abgeritten werden, um die gewünschte Beizäumung zu erreichen oder zu wissen, dass nun von ihm erwartet wurde, artig den Hilfen zu folgen, sondern bei ihm reichte es, dafür zu sorgen, dass seine Muskeln, Gelenke und Bänder gut aufgewärmt waren und das funktionierte auch durch Schritt reiten.
Natürlich machten wir das auch nur in Ausnahmesituationen, aber ihn müde zu reiten, um zu vermeiden, dass er sich bei der Schau den Stallmut aus dem Hintern bockt, das brauchte ich bei Irco nie.
Während wir also am langen Zügel auf und ab spazierten, begann plötzlich eine rege Umtriebigkeit vor der Islandpferdegruppe, denn von dort aus spannten Helfer nun rot-weiß gestreiftes Baustellenband und als ob das nicht schon fürchterlich genug gewesen wäre, erklärte mir einer der Männer, dass ich doch nun bitte mal zurückbleiben soll, weil nun gleich die Ponyherde hier entlang in die Halle getrieben wird.
Mir blieb fast das Herz stehen und ich fragte sicherheitshalber noch mal nach: „Hier entlang? Die ganze Herde?“
Sein Nicken machte mich etwas nervös, aber ich hoffte, dass die zottigen Tierchen sich gesittet und brav und vor allem im gemäßigten Tempo in die Halle begeben würden, aber diese Hoffnung starb diesmal nicht zuletzt, sondern zuerst, denn keine drei Minuten später öffnete sich das Hallentor, während gleichzeitig die verzinkte Paneltür aufschwang.
Selbst wenn die Zwergpferde noch den guten Vorsatz gefasst hätten die Kollegen auf dem Vorplatz nicht zu erschrecken, hätte ihnen das nichts genutzt, denn die Männer trieben sie mit knallenden Peitschen und wilden Gejohle vorwärts.
Ein bisschen Wild West-Atmosphäre wehte um Ircos Nüstern und meine Nase, denn wenn nun noch Staubwolken durch ihre Hufe aufgewirbelt worden wären, dann hätte ich geglaubt, dass ich irgendwo in Wyoming auf einem Viehtrieb als Cowboy auf meinem Westernpferd sitzend beobachte und nicht mitten in der Essener City einer kopflos in Richtung Halle stürmenden Islandpferdeherde zuschaue.
Ircos Herz fühlte ich am Stiefel klopfen, aber er stand , wie aus Bronze gegossen und es fehlte uns eigentlich nur noch ein Sockel und man hätte und als Reiterstandbild auf irgendeinen Platz in irgendeiner Stadt stellen können.
Um uns herum wurde es dafür umso lebendiger, denn die Welsh-Ponys vor der Kutsche ließen das Weiße in den schreckgeweiteten Augen blitzen und ihr Nüstern blähten sich und ich fürchtete, dass wenn sie nun durchgehen würden, man sie vermutlich erst auf der Autobahn in Richtung Hamburg würde bremsen können, denn ihre Hüfchen trippelten unruhig auf der Stelle und der Fahrer hatte seine liebe Not, sie zu beruhigen.
Im Zelt polterten die eimergroßen Hufe der Kaltblüter in flottem Dreitakt, denn sogar ihnen, den „Kalten“ geriet nun das Blut in Wallung.
Als der Spuk vorüber war, löste sich die Anspannung der Pferde zum Glück rechtzeitig, bevor die rasant durch die Lohe stiebenden Isis Gesellschaft bekamen.
Auch mein Hengst entspannte sich wieder und wir zirkelten im Schritt weiter unsere Runden, bis das Tor wieder aufflog und die nun erst richtig aufgeheizten Isländer wieder in wilder Hatz zu ihrem Roundpen stoben. Ihre flinken kleinen Hufe waren kaum mehr zu erkennen, so schnell hoben und senkten sie sich, aber ihr lautes Getrappel auf dem Asphalt war dafür ähnlich dem einer Maschinengewehrsalve.
Aber wieder behielt Irco seinen Gleichmut, währen um und herum die Reiter und Fahrer wieder alle Hände voll zu tun hatten, ihre Pferde an einer übereilten Flucht zu hindern.
Doch Irco war bei weitem keine Schlaftablette, wie man nun annehmen könnte – nein, er wusste nur immer, was gerade von ihm verlangt wurde, denn kaum setzte er den ersten Huf in die komplett verdunkelte Halle und der schwere Vorhang glitt hinter uns zurück, da wurde aus seinem Schlendergang ein Schreiten und in dem Moment, als uns der hell gleißende Kegel des Scheinwerferlicht gefunden und erfasst hatte, ging ein Ruck durch seinen Körper und eigentlich fehlte nur, dass er gerufen hätte: „Showtime!“
Mir drohte das Herz in die Stiefel zu rutschen, als ich auf die bis zum letzten Platz gefüllten Tribünen schaute und mir bewusst wurde, dass alle Augenpaare sich gerade in diesem Augenblick nur auf uns richteten.
Doch ich ritt einen Profi und der wusste exakt im richtigen Moment alle Register zu ziehen, die ihm die passende Präsenz verliehen und während er das Bad im Rampenlicht genoss und durch die Halle schwebte, dass ich nur noch den Atem anhalten und mich von ihm mitnehmen lassen konnte, stand das Publikum von seinen Sitzen auf und applaudierte. Von ihrem Beifall getragen schien mein Schecke zu fliegen und seine Vorderbeine griffen so weit und so hoch aus, dass ich im Scheinwerferlicht, das uns wie ein Schatten folgte und sich an uns festgesaugt zu haben schien, weil es uns keine Sekunde verlor, seine Hufeisenaufzüge glänzen sah.
Dabei fühlte ich in meinen Händen nur das feine Gewicht der Kandarenzügel, sonst nichts, denn vor mir stand sein mächtiger Hals und sein kräftiger Nacken, der sich in herrlicher Selbsthaltung elegant beugte und er schien immer mehr in die Höhe zu wachsen, während er seine Hanken beugte und die Kruppe senkte, dass sein voller Schweif fast die Lohe berührte.
Die Musik schwoll an. Der Takt wurde zu einem Stakkato. Dann ein Trommelwirbel und die Stimme des Sprechers, die mich durch den Lautsprecher aufforderte: „Und nun lass ihn noch einmal tanzen Mädel!“
Und dann flog ich auf Ircos Rücken unter dem tosenden Beifall und dem begeisterten Trampeln der Füße der Zuschauer über die Mittellinie, hinaus, dorthin wo das Tageslicht uns empfing und mich für einen Moment überlegen ließ, ob das nun das Erwachen aus einem Traum ist.
Aber schon umringten mich Menschen, die Irco streichelten und mir anerkennende Worte zuriefen und dann kam Micha und keuchte, vollkommen außer Atem: „Ich dachte, den bremst Du nie wieder, als ihr nach draußen geflogen seid ... Holla, kann der traben!“
„Ja, das kann er!“, antwortete ich ebenfalls noch ganz atemlos vor Begeisterung, „aber dass er nicht rechtzeitig anhält, darum hättest Du Dir keine Sorgen machen müssen, denn der kennt sein Programm und eigentlich war das auch ganz alleine seine Show – ich war nur ein dekorativer Passagier, damit die Bügel nicht herumschlackern und der Sattel nicht so leer aussieht.“
Doch Irco brauchte eigentlich nie einen Sattel und auch keinen Reiter, um mächtig Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, denn bei während der Tage bei Horses and Dreams hatte ihn Micha immer nur lediglich an der Hand vorgestellt und trotzdem wusste er sich in Szene zu setzen und perfekt zu brillieren, wenn er neben seinem stolzen Herrn piaffierend und passagierend herschwebte – kraftvoll, energiegeladen und trotzdem elegant und von tänzerischer Leichtigkeit, ohne dass er Micha auch nur einmal ins Schwitzen brachte oder sich, mal abgesehen davon, dass er sich eben als Hengst präsentierte, frech zeigte oder den Eindruck hinterließ, dass er kaum zu bändigen gewesen wäre.
Doch – ich wollte die Chance für Irco nutzen, wieder einmal einen Auftritt vor ganz großem Publikum zu inszenieren und schließlich war es auch eine große Ehre für mich, von Herrn Kasselmann als Schaubild angefordert zu werden und so war es quasi meine Pflicht, wenn Ullrich Kasselmann rief, seinem Ruf auch zu folgen, denn wenn er einladet, kommen alle und keiner sagt nein.
Also fragte ich den Anrufer: „Wann findet die Eröffnungsfeier statt?“ „Sie müssten sich am Mittwoch so gegen 17 Uhr in Osnabrück sein.“ „Welchen Mittwoch?“ fragte ich geschockt. „Diesen ... das ist der 27. Juli“, antwortete der Mann am anderen Ende der Leitung vorsichtig. „... ist das zu knapp für Sie zum Planen?“ „Nein“, versuchte ich gelassen und möglichst souverän zu wirken, „das passt schon, aber wieso in Osnabrück? Ich dachte die EM findet in Hagen statt, auf dem Hof von Ullrich Kasselmann?“ „Das ist richtig, aber für die Eröffnungsfeier konnten wir die Stadt Osnabrück gewinnen und die richtet die Feier aus und darum findet sie dort statt.“
Nun wollte ich mich ja nicht blamieren und wie ein naives Landei wirken, aber so fieberhaft ich auch überlegte, mir fiel so auf Anhieb kein Reitverein im Großraum Osnabrück ein, bei dem das Ambiente passender für eine Eröffnungsfeier der Dressur-Europameisterschaft gewesen wäre, als die großzügige und stilvoll gestaltete Anlage von Kasselmann und darum fragte ich dann doch noch mal nach: „Wo in Osnabrück findet die Feier denn statt?“ „Auf dem Rathausplatz. Dort wird ein Dressurviereck aufgeschüttet und versammeln werden sich die Teilnehmer auf dem Domplatz, denn dort sperren wir dann den Parkplatz ab, damit sie sich mit den Anhängern dort bequem hinstellen können ... ach ja und das Programm maile ich ihnen morgen. Wie weit ist der Hengst denn eigentlich ausgebildet?
Wieso interessierte ihn das denn? Fürs Programm, damit der Sprecher was zu erzählen hat, wenn wir vor dem Rathaus herumspazieren? Ich wollte ja nun nicht schon wieder mit dummen Fragen nerven und so antwortete ich: „Also eigentlich bis M-Dressur und M-Springen, aber Turniere lief er erfolgreich nur bis L – in beidem.“ „Gut, O.K., dann notiere ich das so. Wenn Sie mir ihre Emailadresse geben würden?“
Ich gab sie ihm durch und dann verabschiedete er sich und legte auf, während ich noch auf das gleichmäßige tut – tut – tut aus dem Hörer lauschte und dabei wie vom Donner gerührt auf meinem Schreibtischstuhl saß, bis ich aus der Erstarrung erwachte und nach dem besten Ehemann von allen rief: „Micha! Miiiiiiiiiichaaaaaaa!!!“ „Was schreist Du denn so?“, antwortete der ganz verunsichert, denn vermutlich nahm er an, dass ich gerade aus dem Fenster gefallen war, oder mit dem Finger in der Steckdose steckte, weil ich brüllte wie angestochen.“ „Wir eröffnen am Mittwoch mit Irco die Europameisterschaft in Osnabrück!“ „Ich denke die findet in Hagen statt?“ „Tut sie ja auch, aber die Eröffnungsfeier findet in Osnabrück statt und rate mal wo?“ „Keine Ahnung – in irgendeinem Reitverein dort?“ „Nein – auf dem Rathausplatz!“ Jetzt schien mein Mann aber an meinem Geisteszustand zu zweifeln und so fragte er nach: „Die werden doch keine Pferdezirkus mitten in der Osnabrücker Innenstadt veranstalten!“ „Doch, das tun sie und sie schütten sogar ein Dressurviereck dort auf und parken können wir am Dom“, trumpfte ich auf. „Wann müssen wir denn dort sein?“ „Gegen fünf, sagte der Mann, der gerade anrief!“ „Also pünktlich zur Rushhour. Weißt Du, was da dann los ist? Vor dem Domplatz ist eine Bushaltestelle und Autos fahren da auch ziemlich viele“, gab mein Pessimunkelchen zu bedenken. „Ach“, winkte ich ab, „das stört doch den Irco nicht!“ „Dich stört das nicht, weil ich ihn ja wohl vorstellen muss, nachdem Du mit Deinem angeknacksten Mittelfinger wohl keinen Hengst vorführen kannst!“
Gut, das Argument war nicht von der Hand zu weisen, denn tatsächlich hatte ich mir ein paar Tage zuvor den Mittelfinger angebrochen, als ich ein fluchtwilliges Pferd festzuhalten versuchte, das den Kampf aber dann gegen meine brüchigen Knochen gewann und trug nun einen Tapeverband an der rechten Hand, der es vielleicht wirklich etwas schwierig gemacht hätte, einen ausgewachsenen, fast siebenhundert Kilo schweren Hengst zu bändigen, wenn dem das Mützchen nach vielleicht ebenfalls eingeladenen Bräuten sitzen würde.
Bis dahin nahmen wir beide tatsächlich noch an, dass wir ihn, wie bei Horses und Dreams lediglich an der Hand vorstellen sollten, denn Irco war ja zu dem Zeitpunkt ziemlich exakt drei Jahre nicht mehr geritten worden, nachdem er sich unbedingt mit seinem Huf in einen Isolator hatte stellen müssen und seither in der Frührente herumlungerte.
Aber als am Dienstag Nachmittag fanden wir die Email vom Hof Kasselmann auf unserem Server und als wir sie öffneten und lasen, da dachte ich für einen Moment, dass da nur ein Missverständnis vorliegen könnte, denn da stand als Programmpunkt Nummer drei: Gekörter Westfälischer Scheckhengst Charming Irco von Chromico/ Picasso, Deckstation Forsthof Antaris, vorgestellt von Sabine Bröckel in Lektionen der Dressur Klasse L.
„Aaaaaaaaahhhhhhh!“
„Was brüllst Du mir denn schon wieder ins Ohr?“ fragte Micha mich, der vermutlich so langsam an der Endkapazität angelangt war, was sein Trommelfell zu ertragen bereit war, aber dann setzte er hinterher: „ Dann reite ihn halt!“ „Bist Du irre?! Irco hatte drei Jahre weder Sattel noch Reiter im Kreuz und die Veranstaltung ist in ziemlich genau vierundzwanzig Stunden! Wie soll ich das denn machen?“
Mein Mann hatte ja nette Ideen ... vielleicht wollte er mich ja loswerden und suchte noch nach der idealen Mordwaffe, um mich zu entsorgen?
Das verlangte Klärung!
„Hör mal, ich dachte Du liebst mich! Und jetzt willst Du, dass ich einen Hengst zur Rushhour mitten in der Osnabrücker City reite, der seit drei Jahren keinen Schritt mehr unter einem Reiter tat? Willst Du mich umbringen?“ „Nein mein Schatz. Ich liebe Dich von ganzem Herzen und wünsche mir, mit Dir zusammen alt zu werden, aber ich glaube auch an unseren Schecken und außerdem weiß ich, dass es Dich doch auch reizt, ihn zu reiten, oder?“
Der Schlawiner! Da hatte er mir doch mit einem Satz allen Wind aus den Segeln genommen, denn wer so schmeichelt und dazu noch so lobhudelt, dem kann man doch keine böse Absicht mehr unterstellen.
„Na ja, wenn Ullrich Kasselmann das Wunder vollbringt, in nur zwei Wochen Vorbereitungszeit eine Dressureuropameisterschaft aus dem Boden zu stampfen, was die Russen in Moskau in zwei Jahren nicht schafften, dann werde ich es wohl möglich machen, dafür meinen Hengst als Reitpferd flott zu machen, aber ich müsste Irco heute wenigstens einmal longieren“, sinnierte ich also „und morgen früh mal draufsitzen und kucken, wie er läuft und ob das mit meinem angeknacksten Mittelfinger und dem Zügel halten funktioniert und wenn es nicht geht, dann kann ich immer noch sagen, dass er lahmt und nur an der Hand vorgestellt werden kann.“ „Das klingt doch vernünftig“, stimmte der beste Ehemann von allen zu und meinte: „Wenn Du meine Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.“
Aber zum Longieren brauchte ich keinen Hilfswilligen, sondern nur meinen Hengst, der erst einmal etwas irritiert war, als ich ihn nach dem Trensen auch noch sattelte. „Hast Du etwas vergessen, wie das geht, ein Reitpferd zu sein?“ flüsterte ich ihm ins Öhrchen, „dann wird es wohl langsam Zeit, dass wir Deiner Erinnerung mal wider auf die Sprünge helfen.“
Irco schien jedoch gar nicht abgeneigt, denn er folgte mir recht flott auf den Reitplatz und kaum hatte ich den Gurt angezogen, die Zügel verschnallt und die Longe eingehakt, da marschierte er auch schon flott und fleißig los.
„Hoho, mein Freund, nicht so hurtig, denn morgen geht der Spaß erst richtig los und da solltest Du Dir möglichst heute keinen Muskelkater holen“, bremste ich seinen überschäumenden Eifer und um ihn nicht zu überanstrengen, ließ ich ihn nach fünfundzwanzig Minuten lockerer Arbeit im Trab noch zehn Minuten im Schritt ausspannen. Geschwitzt hatte er so gut wie gar nicht und auch wenn er die alte Elastizität noch vermissen ließ, hatte ich mir seine erste Longeneinheit nach drei Jahren sehr viel schlimmer vorgestellt und ich war sehr stolz, Micha berichten zu können, dass Irco sehr gut gelaufen war.
Am Mittwoch früh erkannten wir aber, dass das größte Problem nicht das war, dass der Hengst drei Jahre nicht unter dem Sattel im Training war, sondern dass mir weder die weiße Hose noch die Stiefel passten.
Das Unterfangen schien tatsächlich leider bereits vor dem Kleiderschrank zu scheitern. Meine weißen Reithosen waren nämlich offensichtlich allesamt in der letzten Wäsche eingegangen. Eine andere Erklärung hatte ich nicht dafür, dass keine der teuren Teile mehr passte - und dass, obwohl ich beim ersten Versuch noch zerrte und zog, bis der Faden, der den Hosenbund mit dem Rest verband ein Einsehen hatte und nachgab.
Das verwendete Material ist heute auch nicht mehr das, was es mal war, aber vielleicht war das Fädchen ja auch altersbedingt etwas morsch geworden, dachte ich resignierend und warf die Hose in den Korb mit der Flickwäsche.
Modell zwei, in das ich mich zwängte, ließ sich dann aber – meiner Sorgfalt und Vorsicht sei Dank - sogar bis über den Po ziehen. Vorne trennten die beiden Zahnreihen des Reißverschlusses jedoch Welten und machten ein Zusammenfinden unmöglich.
Sie konnten zusammen nicht kommen, der Bauch war immer im Weg, witzelte ich noch in Gedanken, aber dann überlegte ich, ob diese Hose denn immer schon so verschnitten war, denn was unten passt, kann doch oben theoretisch gar nicht so auseinander klaffen.
„... oder das waren diese Kalorienzwerge“, schimpfte ich „die haben alles enger genäht!“
Zur Not, überlegte ich, geht vielleicht auch beige. Das ist eventuell auch dezenter und trägt nicht so auf wie blütenweiße Beinkleider auf kräftigen Reiterwaden, -hintern und -schenkeln
Also, die dritte Buxe aus dem Schrank gezerrt, diesmal in vergilbt wirkender Farbe, die sich wohl „Eierschale“ nennt – das wollte wohl gerne ein braunes Ei werden, sinnierte ich dabei, denn irgendwie sah die Hose verschossen hellbraun aus.
Selbst beim besten Willen, musste ich hier kampflos aufgeben und einsehen, dass jeder Versuch dieses Höschen auch nur bis über die Knie zu bekommen zum Scheitern verurteilt sein würde. Ich suchte das Etikett. Größe 38! Wann hatte ich die denn zum letzten Mal getragen? Kurz nach der Konfirmation?
Der Kleiderschrank gab nun nichts mehr her. Also, musste ich wohl in den sauren Apfel beißen und mir neue Reithosen anschaffen, wenn ich nicht in Jeans auftreten wollte.
Hindernis Nummer zwei lauerte aber schon im Schuhschrank.
Meine Reitstiefel hatten ihr stark verlängertes Winterschläfchen gestützt von Stiefelstrecker und Schuhspanner rein äußerlich wohlbehalten überstanden. Also, hinein in die Lederröhren, beschloss ich motiviert.
Leider klappte das ohne Stiefelanzieher nicht.
Für alle die, die so ein Teil noch nie benutzen mussten, weil sie entweder unter Muskelschwund an den Waden leiden oder schlank genug sind, ohne Hilfsmittel in ihre Stiefel zu gleiten, oder Reitstiefel in weiser Voraussicht auf etwaige Zunahmen des Körperumfanges – hier insbesondere an den Beinen – zwei Wadenweiten größer anschaffen, als zum Zeitpunkt des Kaufes benötigt ... halt, wo war ich jetzt?
Ach so ja: Also, für alle jene sei hier die Funktion dieser Fleischerhaken ähnlichen Teile erklärt: Von geschickter Hand geführt, fädelt man die im Stiefelschaft angenähten Laschen auf, mit dem Zweck, den widerborstigen Stiefelschaft über die Wade bis unters Knie zu ziehen, ohne sich dabei die Finger zu verklemmen. Es wäre ja nicht unbedingt geschickt, wenn die Hand des Reiters zwischen Wade und Stiefelschaft festsitzt, zumal er dann jemanden um Hilfe bitten müsste, damit er aus der misslichen Lage befreit wird – notfalls mittels scharfem Messer. Ob der Stiefelbesitzer dann allerdings lieber seine Hand oder den Stiefel opfert, liegt ganz in seiner Entscheidungsfreiheit ... oder am Preis, den die Stiefel gekostet hatten.
Jedenfalls brauchte ich einen solchen Stiefelanzieher und zwar dringend. Die Suche verlief wider Erwarten schon nach 30 Minuten erfolgreich – es lebe das geordnete Chaos!
Jetzt begann der eigentlich schwierigste Teil – das Einfädeln der Laschen! Kaum hatte ich die der rechten Seite auf dem Haken, flutschte die linke Seite wieder raus. Das Unterfangen glich einem Geduldsspiel, in etwa wie jene, die wir als Kinder oft geschenkt bekamen.
Wer kannte sie nicht, diese durchsichtigen, runden Plastikschächtelchen auf deren Grund eine Katze, wahlweise ein Hund, Teddybär oder ähnliches Getier mit zwei Augen abgebildet ist. Jene Augen aber bestehen aus zwei ausgestanzten Vertiefungen, in die es die beiden, sich frei im Schächtelchen beweglichen Kügelchen mittels hin und her drehen des Schächtelchens von Seiten des Spielers zu versenken gilt, damit das auf dem Grund abgebildete Tier zwei Kugelaugen erhält aus denen es den Geduldsspieler nach erfolgreicher Versenkung der Kügelchen in die dafür vorgesehenen Vertiefungen mehr oder minder blöde anstarrt.
Gewaltsames Öffnen des Schächtelchens und manuelles Einsetzen der Kügelchen in die dafür vorgesehenen Vertiefungen ist bei dem Spiel nicht vorgesehen, verkürzt es aber erheblich.
Allerdings kann man es dann auch nicht mehr als Geduldsspiel bezeichnen, weil man eben jene nicht bewiesen hat.
Soweit klar und alles kapiert?
Wenn nicht, auch nicht so schlimm, ich wollte ja nun keine Kügelchen versenken, sondern Reitstiefel anziehen!
Das klappte beim zirka fünften Versuch mit Stiefel Nummer eins ganz wunderbar. Flutsch – drin ... fast.
Die Wade bremste, aber schlussendlich war ich doch drin.
Juhu, ich bin drin!, jubelte ich begeistert.
Wade Nummer zwei ließ sich nicht ganz so leicht bezwingen. Es war ein echter Kraftakt und durch die ganzen Anstrengungen hatte ich mit Sicherheit schon ein Kilo abgenommen – mindestens!
Vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt, aber Reiten ist wahrscheinlich der einzige Sport, bei dem man beim Anziehen dafür mehr Kalorien verliert, als bei der Ausübung desselben, stellte ich keuchend und schwitzend fest. Mein Hosenbund saß auf jeden Fall schon deutlich lockerer um meine Taille. Leider fing ich jetzt immer intensiver an zu transpirieren und meine Hände wurden feucht. Meine Füße auch.
Während aber meine Hände immer rutschiger wurden, bremsten meine Füße immer mehr auf dem nun auch innen feuchten Leder des Stiefels.
Im Geist notierte ich: Vor dem nächsten Bedürfnis, dringend Irco mal wieder zu reiten: Unbedingt Familienpackung Talkum kaufen!
Dann hatte der Fuß oder der Stiefel ein Einsehen.
Pffft machte es und mein Bein steckte im Stiefel.
Allerdings fing nun meine Wade heftig an zu pochen und meine Zehen fühlten sich bereits taub an.
Hilfe! Mein Bein stirbt ab!, ächzte ich verzweifelt.
Ich versuchte nun in fliegender Hast den Stiefel los zu werden, in dem meine Wade wie in einem Schraubstock saß und hüpfte auf einem Bein durchs Haus, auf der Suche nach dem Stiefelauszieher.
Die Situation erlaubte mir nun leider nicht irgendwem, der den Begriff nicht kennt, die Funktion eines Stiefelausziehers zu erklären, denn ich glaubte die Blutzirkulation in meinen unteren Extremitäten war nun total blockiert. Ich spürte vom Knie abwärts nichts mehr. Mein Fuß war ein gefühlloser Klumpen.
Im Schuhschrank wurde ich fündig.
Wer hatte denn den Stiefelanzieher in den Schuhschrank geräumt?
Egal, ich konnte mich nun nicht über den ganz neu erwachten Ordnungssinn meiner Familie wundern, sondern musste mir schnellstens Erleichterung verschaffen, denn ich fragte mich gerade, wie lange wohl der Blutfluss eigentlich unterbrochen werden dürfte, bevor das betroffene Körperglied schwarz würde und abfiele und überdies machte es mich nervös, dass ich auch nicht wusste, ob das im Gesundheitsbuch stehen könnte und wenn doch, unter was ich es dann finden würde: unter A- wie abgefallene Körperteile? Oder unter B – wie kurz und knapp Bein ab?
Wenn es vorher anstrengend war, den Stiefel anzuziehen, hatte ich nun kein Adjektiv mehr, das annähernd zu beschreiben imstande gewesen wäre, was es mich an Kraftaufwand kostete, das verflixte Ledermonster wieder los zu werden, das sich an mein Bein angesaugt hatte.
Ziehen, zerren ... Mist, da war der Absatz ab!
Ich zog bereits in Erwägung ein Messer zu holen um mich aus der Umklammerung meines Stiefels zu befreien (Obwohl die Stiefel 700 € gekostet hatten), da gab er endlich nach.
Die Wucht der unvorbereiteten Loslassens haute mich um.
Ich landete auf dem Steißbein.
Es raubte mir die Luft.
Trotzdem war dieser Schmerz nichts im Vergleich zu der Qual im Stiefel fest zu stecken.
Mühsam erhob ich mich.
Mit der schmerzenden Hinterfront war mir die Lust am Reitsport für heute eigentlich vergangen, aber was nutzte das?
Ein Indianer kennt keinen Schmerz und wer ein Indianerpferd reitet, der ist vermutlich zwingend auch einer und darum darf er nicht herumjengeln, nur weil seine Kehrseite schmerzt.
Nun stand ich aber vor dem nächsten Problem, denn zwar lag es durchaus im Bereich des Möglichen meine Stiefel zum Weiten und Absatz ankleben zum Schuster zu bringen, aber keinesfalls war das machbar in der wenigen Zeit, die mir noch verblieb und darum waren wohl nun neben den neuen Hosen auch neue Stiefel fällig.
Ich fuhr also los zum Reitsportgeschäft und dort fand auch nach kurzer Zeit eine weiße Reithose, die mir wenigstens zu passen schien, aber vorteilhaft sah ich darin nicht aus und fast war ich versucht, mir eine schwarze Hose zu kaufen, die vielleicht den Speck mehr zu kaschieren vermochte, denn schwarz macht ja bekanntlich schlank.
Den Gedanken verwarf ich aber dann auch gleich wieder, als ich eine schwarze Reithose anprobierte, die mich erstens nicht ein bissen dünner aussehen ließ und zweitens nicht zum mitternachtsblauen Sakko passen würde. Aber eine neue, schwarze Reitjacke lag nun wirklich nicht auch noch im Budget und außerdem wollte ich ja auch nicht wie Zorro oder der schwarze Reiter herumreiten.
Also griff ich wieder nach dem weißen Modell mit Clarino-Vollbesatz - schließlich wollte ich ja nicht im Sattel herumrutschen, wie ein Spiegelei in der Teflonpfanne - in Größe 42.
42!!!
Wenn ich weiter so zulege, kann ich demnächst meine Klamotten in der Zeltabteilung von Intersport kaufen, dachte ich und dabei war der Hinweis der Verkäuferin, dass das Modell in Italien hergestellt wurde und die bekanntlich kleiner schneidern auch nicht eben trostreich, denn einen logischen Zusammenhang zwischen Italien und kleineren Schnitten konnte ich nicht erkennen. Dank Pizza und Pasta sehen die italienischen Mamas doch nicht unbedingt wie Claudia Schiffer oder Naomi Campbell aus, eher wie Madame Kubik – Höhe mal Breite. Ich ließ das verräterische Größenetikett, dieses Zeugnis meiner Zügellosigkeit und Naschsucht natürlich noch im Geschäft per Schere entfernen.
Die Hose hatte ich im übrigen gleich im Laden anbehalten, denn wer kann schon ahnen, was mir sonst zuhause für Überraschungen gedroht hätten, falls das gute Stück dann auf dem Nachhauseweg in der Tragetüte auf Kindergröße geschrumpft wäre – der fleißigen Kalorienzwerge wegen.
Galt es also nur noch das Stiefelproblem zu lösen, aber Kindergroße 35 bis 36 im Fuß und 39 Zentimeter Wadenmaß fanden keinen gemeinsamen Nenner und erst recht keinen Stiefel, der ohne Maßarbeit zu bekommen war.
Also suchte ich nach dem Plan B und fand ihn in Form von Stiefeletten in Kombination mit Stiefelchaps, wobei auch sie von mir eine gewisse Kompromissbereitschaft forderten, denn für meine kurzen Beine gab es nun die passende Länge nicht, wenn ich nicht auf die Weite zu verzichten bereit war und obwohl ich sonst ja ein durchaus flexibler Mensch bin, der selten mal stur an seinen Vorstellungen festhält, wenn sie sich eben als undurchführbar herausstellen, wollte ich nicht riskieren, dass meine Wade, eingequetscht in Ledergamaschen, erneut unter mangelnder Blutzirkulation leidet, denn von Sadomaso mit Lack, Leder und Latex halte ich eher nichts.
Obwohl ich die Erfahrung machte, als ich selbst noch im Reitsportgeschäft arbeitete, dass sich die Fetischanhänger und Verfechter der etwas anderen Sexualpraktiken sich ihre Ausrüstung gerne mal dort kaufen, was aber vielleicht nicht verallgemeinert werden sollte, weil wir mit unserem Geschäft sehr nah am Rotlichtbezirk gelegen waren und man diesbezüglich Verwechslungen nicht ausschließen kann.
Jedenfalls kam eines Tages ein Herr in den Laden, der sich für eine Reitpeitsche interessierte und wie immer in solchen Situationen fragte ich zuerst einmal: „Welche Länge?“
„Was nimmt man denn da am Besten?“, fragte er zurück. „Das kommt darauf an, ob die Gerte für Dressur oder Springen sein soll“, entgegnete ich. „Was ist denn da der Unterschied?“ „Die Länge – als Dressurgerte würde ich mindestens ein Meter bis ein Meter zwanzig empfehlen, als Springpeitsche sechzig bis achtzig Zentimeter.“ „Sie ist nicht zum Reiten – sie ist für meine Freundin.“
Ich bin ganz sicher nicht prüde, aber jetzt war ich trotzdem ziemlich verunsichert und darum hakte ich noch einmal nach: „Ihre Freundin reitet also?“ „Nein, meine Freundin reitet nicht, aber ich möchte ihr die Gerte zum Geburtstag schenken ... sie verstehen? LLL?“ Dabei formte er mit dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand den Buchstaben L und zeigte ihn drei Mal.
Da ich mir immer sage, übel ist nur, wer hinter allem Übles vermutet und denkt, überlegte ich kurz und dabei fiel mir das L für Lipton Tee ein und so vermutete ich: „Es geht um Teegetränke?“
Er grinste. „Nein, es geht um Lack, Leder und Latex.“
Es passiert nicht oft, dass ich sprachlos bin, aber jetzt fehlten mir die Worte!
„Sie wollen die Freundin mit der Gerte verhauen?“ schlussfolgerte ich, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte. „Nein, das hat nichts mit Hauen zu tun. Es ist ein Spiel zwischen der Domina, die als Herrin ihren Sklaven straft und der dabei Lust empfindet ... oder umgekehrt“, erklärte er mir. „Ich stehe mehr so auf Kuscheln und Zärtlichkeit“, stellte ich meine Position klar. „Aber vielleicht sollten Sie es trotzdem mal ausprobieren, bevor Sie ihr Urteil fällen? Ich lade Sie gerne zu einer Schnupperstunde in unseren Club ein“, bot er mir nun an.
Hilfe, dachte ich, aus der Nummer musst Du schnellstens wieder raus, bevor Du hier die Nummer drei in einem flotten Dreier wirst und darum lehnte ich sein Angebot höflich aber strikt ab.
Er entschied sich dann für eine mit schwarzem Leder umflochtene Gerte mit „Fliegenklatsche“ an der Spitze für sage und schreibe neunundachtzig Franken, weil Geräusche einen zusätzlichen Kick geben – Danke, aber so genau wollte ich das gar nicht wissen!
Mein Chef erkannte sofort das Potential für ein lukratives Zusatzgeschäft, als ich ihm von dem Kunden erzählte: „Super! Das sind Kunden, die reut das Geld nicht. Die finden das sogar günstig, weil sie im Sexshop wahrscheinlich das Doppelte bezahlen! Da richten wir doch gleich eine SM-Ecke ein! Mit Gerten und Lederchaps ... was denkst Du – mit Fransen oder ohne? ... und vielleicht noch Führketten?“
„Ich verkaufe das nicht!“, wehrte ich mich entschieden gegen seine Idee, „da kannst Du Dich selbst hinstellen und die sexuell anders Orientierten bedienen ... aber pass auf, dass Du nicht nachher als Sklave in ihrem Schlafzimmer landest.“
Man muss eben nur schlagkräftige Argumente haben, dann überzeugt man selbst den Chef, denn nach einer kurzen Gedankenpause beschloss er, dass es vielleicht doch kein so guter Einfall wäre – na also!
Allerdings geriet ich dann trotzdem noch einmal in eine peinliche Situation, als ein schüchterner Jüngling in den Laden kam und nach einer Peitsche fragte und nachdem er mir auf meine Frage, ob für Dressur oder Springen keine Antwort geben konnte, sondern meinte: „Das weiß ich nicht – sie ist für meine Freundin“ dachte ich: Hahaaaa! Da brauchst Du Dich nicht zu schämen, denn bei mir bist Du an eine Fachfrau geraten und darum zwinkerte ich ihm verschwörerisch zu und raunte:“ LLL?“ Er schien mich aber nicht zu verstehen und so wurde ich deutlicher: „Sadomaso ... Lack, Leder, Latex?“
Der arme Kerl war nun vollends verwirrt und stammelte:“ Ähm, nein ... ähm ... ist das hier kein Reitsportgeschäft, in dem man Gerten für Pferde kaufen kann?“
Jetzt schoss mir aber die Röte ins Gesicht und ich wäre am liebsten in den Erdboden versunken vor Scham. Musste ich aber immer gleich übers Ziel hinausschießen? Mich wichtig tun und zeigen, was ich kann und weiß? Verflixt!
Nun stotterte ich eine Entschuldigung und nach zehn Minuten hatte ich ihm eine neunzig Zentimeter lange, mit schwarz weißem Plastikgeflecht umwickelte Gerte für 9 Franken verkauft. Ich glaube, wir waren beide froh, kein intensiveres Verkaufsgespräch miteinander führen zu müssen, denn wir vermieden es, uns in die Augen zu schauen.
Mein Chef hatte hingegen einen Heidenspaß als ich ihm davon erzählte und meinte, damit käme ich sicher in die Fasnachtszeitung – na Danke auch dafür!
Seit dem bin ich zu einer Art eiserner Jungfrau in Sachen Fetisch und Sadomaso geworden und lehne jede Form der Selbstkasteiung konsequent ab und genau aus diesem Grund wollte ich nun auch gerne Stiefelchaps kaufen, die meinen Beinfreiraum nicht auf unangenehme Weise einengten, aber die weiten Modelle waren leider auch entsprechend lang im Bein, denn wer stramme Waden hat, der sollte nicht auch noch kurze Beine haben, weil für die eben die Reitsportindustrie vorsieht, dass sie mit einem Umfang von 35 Zentimetern problemlos auskommen.
Ich entschied mich für die lange Variante und nahm eben in Kauf, dass das Gummibändchen, welches eigentlich vor dem Stiefelettenabsatz für den nötigen Halt und die Rutschfreiheit sorgen soll, bei mir schlapp und unelastisch herunterhing, denn versuchte ich es stramm zu ziehen, reichten mir die Chaps locker übers Knie und fast bis zum Oberschenkel, was auch nicht so gut aussah.
Die passenden Schuhe waren rasch gefunden, was daran gelegen haben mag, dass ich versuchte nun recht anspruchslos zu sein, um die arme Verkäuferin mit meinen Sonderwünschen nicht weiter zu nerven und so hoffte ich auch, dass sich die schmale Stiefelettenspitze sich in der Breite meinen Spreizfuß noch anzupassen bereit wäre, bevor mir dadurch Hühneraugen wachsen würden.
Die Handschuhe nahm ich einfach zwei Nummern größer und ging davon aus, dass keinem der Zuschauer auffällt, dass neun Fingerspitzen im Takt des Trabes wippen und eine an der rechten Hand seltsam verdickt ist.
Als ich nach Hause kam, blieb mir nicht mehr viel Zeit, mit Irco zu üben, aber der arme Kerl hatte sowieso Muskelkater, obwohl ich versucht hatte, ihn nicht zu sehr zu strapazieren und so war er wohl recht dankbar, dass ich die Reitstunde nach zwanzig Minuten beendete, nachdem ich zwei Runden getrabt und eine galoppiert war und Micha befand, dass es ganz ordentlich aussah und ich mich auf keinen Fall blamiere.
Seine Ehrlichkeit diesbezüglich in Frage zu stellen hätte mir sowieso nichts genutzt, denn erstens hatte ich draußen keinen Spiegel und in der Halle auch nicht mehr, seit ein Hengst hineingesprungen war, der es dem dreisten Kerl mal so richtig zeigen wollte, der ihn so frech aus dem Rahmen beobachtete Rollos haben eben auch nur solange den Vorteil die Spiegel zu schützen, wie man sie auch herunterlässt, wenn Hengste freilaufen, aber das hatten wir ja schon unter den Mitarbeiterproblemen - und zweitens hatte ich auch keinen objektiven Betrachter zur Hand, der mir ohne etwas zu verschönen die Wahrheit gesagt hätte und so verließ ich mich eben auf das Urteil meines besten Ehemannes von allen und ging davon aus, dass er sich ja auch nicht unbedingt mit mir blamieren wollte, denn eigentlich ist er von der Sorte, der schon unter die Bettdecke flüchtet, wenn in einem Fernsehfilm etwas Peinliches passiert, weil er sich immer „kollektivschämt“.
Nun wurde aber die Zeit langsam knapp, denn um 17 Uhr sollten wir uns auf dem Domplatz einfinden und weil der kleine Zeiger der Uhr schon auf der Zwei und der große auf der Zwölf stand, begann ich nun meinen verwilderten Hengst zu renovieren, um ihn in ein Dressurpferd zu verwandeln.
Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub (Antoine de Saint Exupéry)
Schlag vier war der letzte Zopf geflochten. Die Kandare putzte ich im Auto.
Ein bisschen wie die Prominenz kam ich mir ja vor, als wir sofort von Helfern mit neonfarbenen Westen auf denen „Stadtwerke Osnabrück“ stand eingewiesen und zum Domplatz weitergewinkt wurden, wo schon sechs Gespanne mit Pferdeanhängern und ein Transporter auf dem der Schriftzug „Das Pferdemusical Antonia“ in Airbrushtechnik aufgebracht war standen, während die uns hinter uns fahrenden Autos keine Erlaubnis erhielten uns zu folgen.
Eigentlich fehlte nur noch der rote Teppich, um mich perfekt hofiert zu fühlen.
Irco „anzuziehen“ war noch immer Routine, obwohl wir lange darauf verzichten mussten, aber als ob wir letzte Woche erst das letzte Turnier bestritten hätten und nicht vor drei Jahren, arbeiteten Micha und ich Hand in Hand und während er die Transportgamaschen abnahm, unter denen die Bandagen schon glatt und sauber an den Pferdebeinen saßen und die Decke von seinem glänzenden Fell zog, hängte ich meinem Hengst die Kandare ins Gesicht und verschnallte sorgfältig Riemchen für Riemchen, drehte die Wirbelglieder der Kinnkette aus und hängte sie locker ein, damit die Anzüge nicht etwa strotzen. Dann wurschtelte ich das schwarze Ohrenkäppchen mit den goldenen Lurexfäden und den Fransen, die den eingeflochtenen Schopf ersetzen sollten, den gegen sich an die Augen heftende Fliegen zu schütteln nichts genutzt hätte, unter das Stirnband, denn gegen alles was durch die Luft fliegt, war Irco extrem empfindlich, weshalb ich im eben ein passendes Mützchen für seine Ohren häkelte und ihn stets vor dem Aufsitzen mit Fliegenspray einnebelte.
Micha wuchtete den Sattel aus dem Kofferraum unseres Autos, legte ihn auf die schon glatt auf Ircos Rücken platzierte Samtschabracke und während ich mich aus den Jeans schälte, die ich zum Schutz gegen Schmutz über die neue weiße Reithose angezogen hatte und die Stiefelchaps um meine Wanden wand, gurtete Micha bereits den Sattel fest und führte Irco ein paar Runden, weil keiner so gut einen Blähbauch aufpusten kann wie er. Oft hatte ich schon oft keuchend und zerrend gerade das erste Loch der Strippen in den Dorn der Schnalle einfädeln können, um dann festzustellen, wenn ich den Fuß in den Bügel stellte, dass mir nun der Sattel samt Schabracke und Lammfellunterlage entgegenrutschte und es plötzlich möglich gewesen wäre, einen fünf Zentimeter kürzeren Gurt zu benutzen, ohne dass man sich hätte quälen müssen, das erste Loch zu treffen.
Ich streifte mir zum Schluss noch die Handschuhe über, reichte Micha Jacke und Zylinder, denn es war unangenehm warm, sodass ich schon ohne Jackett schwitzte, stellte mir mein rosarotes Plastikhöckerchen zurecht, von dem aus ich immer aufsteige, seit mein Knie unter der Attacke einer besamungsunwilligen Ponystute Schaden nahm und kletterte auf mein Pferd.
Dass es keine Möglichkeit des Abreitens gab, außer auf dem kopfsteingepflasterten Domplatz Schritt zu reiten, wussten wir ja bereits vorher.
Allerdings hatten wir weder mit der doch stattlichen Anzahl Pferde gerechnet, die sich eingefunden hatten, noch damit, dass sie es vielleicht übel nehmen könnten direkt neben einer Bushaltestelle warm geritten zu werden, denn während Irco sich weder durch den regen Straßenverkehr der Osnabrücker City noch durch den Linienbus und schon gar nicht von den Glockenschlägen im Dom aus der Ruhe bringen ließ, lagen bei den beiden Shagya-Araberhengsten die Nerven blank und sie zappelten unruhig unter ihren Reiterinnen herum. Das belgische Kaltblut zeigte sich zwar etwas gelassener, aber draufsitzen hätte ich auch nicht unbedingt wollen, denn rund 900 Kilo geballte Energie wieder eingefangen zu bekommen, wenn sie erst in Wallung gerieten, stellte ich mir auch nicht unbedingt lustig vor.
Eine Reiterin mit einer spanischen Stute ließ sich von ihrem Helfer führen, um dem Pferd alles zu zeigen und um es an sicher nicht alltägliche Situation zu gewöhnen.
Etwas nervös waren auch die beiden Wallache, die für die ungarische Post ihren Einsatz finden sollten, aber nachdem ungefähr der dritte Linienbus mit zischenden Druckluftbremsen und sich quietschend öffnenden Türen, aus denen zahlreiche Menschen ausstiegen, die wiederum das Spektakel auf dem Domplatz mit ihrer Anwesenheit unterstützten, vor ihren Nüstern an- und wieder abgefahren war, fanden sie sich wohl mit der neuen, ungewöhnlichen Situation ab, denn als schauerfahrene Pferde waren sie schon eine Menge gewohnt.
Vielleicht nicht so viel wie die beiden schneeweißen Andalusier, der lackschwarze Friese und das falbfarbene und mit lustigen Appaloosa-Flecken auf der Kruppe gezeichnete Fallabella Minipony aus dem Pferdemusical „Antonia“, die aufregende Bühnenauftritte während ihrer ganzen Tournee aufführten, bei denen mit Nebelmaschinen und Feuerwerk gearbeitet wurde und deren prächtige und aufwändig gestalteten Kostüme teilweise mit Flügeln ausgestattet waren, die alleine Nervenstärke von ihren Pferden erforderten, denn für unseren Schimmeligen war schon sein erster Einsatz in einer L-Dressur ein Schock – nicht etwa wegen der Lektionen – die beherrschte er problemlos – sondern weil ich nicht wie üblich eine Reitkappe trug, sondern mir einen Zylinder auf den Kopf gesetzt hatte und solcherlei Veränderungen bedurften bei ihm stets einer längeren Phase der Gewöhnung, bis er tolerierte. Allerdings durfte man dann auch nicht plötzlich wieder mit Kappe reiten, denn das brachte sein Konzept dann noch einmal durcheinander, aber ihn brachte ja auch schon ein mir vom Richter in der Platzierung gereichter Blumenstrauß aus der Fassung, weil sich da nun was in Höhe seines Rückens befand, was da seiner Meinung nach nicht hingehörte – ich musste das Biedermeiersträußchen in der Ehrenrunde dann auch fallen lassen, weil er mir durchzugehen drohte und ich beide Hände brauchte, ihn vorher wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Darum bewunderte ich die Musical-Pferde immer sehr, die ihre zirzensischen Lektionen unter all dem schmückenden Beiwerk, welches sie und ihren Reiter umgibt, abspulen und sich weder von flatternden Stoffen, noch von raschelnden Materialien in der perfekten Ausführung ihrer Aufgabe irritieren lassen, obwohl sie auch Fluchttiere sind, deren Sicht nach hinten begrenzt ist und die in den Jahren der Evolution lernten, sich auf ihr Gehör und den Instinkt verlassen zu müssen, um rechtzeitig vor angreifenden Raubtieren wegzulaufen und sich durch ihre schnellen Beine zu retten.
Natürlich haben sie auch gelernt, ihren Menschen zu vertrauen, aber das hat Schimmi auch und trotzdem sagt der sich: „Vertrauen ist gut, schnell wegrennen ist besser!“ und das, obwohl ich ihm bereits erklärte, dass das Pferd in unseren Breitengraden keine natürlichen Feinde mehr hat, außer den Menschen. Ich drohte ihm auch, dass keine, aber auch gar keine Situation so gefährlich sein könnte, wie mein Zorn, der ihm sicher sein würde, wenn er sich nicht zusammenreißt und er selbst abwägen kann, was schlimmer ist: das was er als gefährlich betrachtet oder das was gefährlich ist, wenn ich erst wütend werde, aber Schimmi setzt eben nach wie vor noch immer die falschen Prioritäten.
Im Gegensatz zu dem Rappschimmelhengst der Pura Raza Espaniol, der reinen spanischen Rasse, der ohne ein Zeichen von Nervosität am langen Zügel passagierte und piaffierte, obwohl das Pflaster recht rutschig schien und ich es gar nicht erst ausprobieren wollte, was passiert, wenn ich versuche anzutraben, weil ich es mir schon ungefähr ausrechnen konnte, dass dem etwas steif gewordenen Irco die Geschmeidigkeit noch fehlte, sich geschickt auszubalancieren, wie das der stolze Spanier schaffte.
Mittlerweile säumten nicht nur die Busreisenden, welche an der Haltestelle Interesse an unserem Auftritt zeigten, sondern auch zahlreiche Neugierige den Domplatz und bestaunten die Parade der so verschiedenen Pferdepersönlichkeiten: Die beiden braunen ungarische Post-Wallache, der andalusische Rappschimmel am langen Zügel, die schneeweißen, mit fuchtelnder Vorhand schreitenden kräftigen Spanierhengste und die etwas zierlichere Stute, der Friesenrappe mit der hohen Knieaktion und seinem seidig glänzenden Langhaar und den bei jedem Schritt fliegenden Kötenbehängen, das Ponyzwerglein, das an der Hand seine Sprünge aus der hohen Schule zeigte und Zirkuskunststückchen vorführte, das mächtige rotschimmelige belgische Kaltblut, dessen Rücken so breit war, dass seine Reiterin fast im Spagat auf ihm saß, die mahagonibraun schimmernden Shagyahengste, deren schweißglänzendes feines Fell das Adergeflecht darunter zum Vorschein treten ließ.
Das in der Stadt wohl eher ungewöhnliche Bild rundete unser schwarz-weißer Schecke als zusätzlicher Farbklecks ab.
Inzwischen hatte die Schau vor der prächtigen Kulisse des Rathauses begonnen und laut dem Programm wurden jetzt die teilnehmenden Mannschaften einzeln begrüßt, indem jeweils ihre Nationalhymne gespielt wurde, wenn die Reiter vor das Rathaus traten mit einem Reiterkind, welche aus den umliegenden Vereinen gekommen waren, an und der Landesflagge in der Hand.
Zwar drang die Musik bis zu uns, aber leider konnten wir den Einmarsch der Nationen nicht direkt sehen, weil dazu der Domplatz etwas zu weit vom Rathaus entfernt ist und so viele Leute davor standen, dass sie uns die Sicht verstellten, aber ein Bekannter nahm das Ganze auf Video auf und ich gestehe, dass ich sehr gerührt war, als ich nun auch die mir bis dahin noch unbekannten Teile der Pferdeshow „made by Kasselmann“ anschauen konnte.
Ganz zum Schluss des ersten Parts der Eröffnungsfeier wurde das Deutschlandlied gespielt und während ich auf meinem ganz still verharrenden Hengst saß, und im Geist die ersten Zeilen und den Schluss mit sich stumm bewegenden Lippen mitsang – bislang brauchte ich es ja nicht komplett auswendig zu können, obwohl ja sowieso nur noch eine, nämlich die dritte Strophe gesungen wird – erleuchtete mich eine Ahnung davon, wie bewegt sich die international erfolgreichen Reiter fühlen müssen, wenn ihnen zu Ehren ihre Landesflagge gehisst wird und ihre Nationalhymne erklingt. Ich kämpfte wirklich mit den Tränen der Ergriffenheit, obwohl die Ehrung gar nicht mir zuteil wurde, aber alleine sie vom Sattel aus zu erleben, macht sogar einen sonst eher weniger vom Nationalstolz erfüllten Menschen wie mich, der sich bis heute nicht entscheiden konnte, ob er sich lieber zu den Deutschen oder zu den Eidgenossen bekennen will, zum enthusiastischen Patrioten.
Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!
Die letzte Zeile war gesungen, die letzten Takte verhallt und ich wischte mir verstohlen über die feucht gewordenen Augen.
Dann machten sich die beiden Shagyas bereit für ihren Auftritt und ich bat Micha, doch einmal nach vorne zum Rathausplatz zu gehen und zu schauen, wie das Viereck dort aussieht und ob man da überhaupt reiten kann, denn nachdem das Abreiten auf dem Domplatz schon gewöhnungsbedürftig war, wollte ich nun nicht noch auf dem improvisierten Dressurviereck herumrutschen.
Zusammen mit den sichtlich erleichterten Reiterinnen der Araber, dass sie ihren Ritt nun erst mal hinter sich hatten und die Pferde ihren Stallmut loswerden konnten, kam Micha rund zehn Minuten später zurück und meinte: „Der Reitplatz ist klein. Ich schätze 20 x 20, aber der Belag ist sehr gut und griffig, da brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen, dass der Boden zu rutschig ist.“ „Und? Ist viel los dort?“ „Ziemlich – aber Du siehst es ja gleich selbst, denn jetzt ist der Dicke drin und dann kommst Du mit Irco dran.“
Keine drei Minuten später wurden wir schon von einer jungen Dame abgeholt, die über ein Headset mit der Organisation verbunden war und nun ins Mikrophon fragte: „Wie weit seit ihr? Kann der nächste Reiter sich schon bereithalten?“
Offensichtlich hatte sie ein Ja bekommen, denn sie nickte mir nun zu und riet: Wenn das Kaltblut aus dem Viereck raus ist, dann warte noch einen Moment, dass es da vorne nicht zu eng wird, denn das Publikum steht bis an den Viereckrand und zwei Pferde passen nicht aneinander vorbei ... besonders nicht, wenn einer allein schon mindestens 800 Kilo wiegt.“ Sie grinste dabei und zwinkerte mir freundlich zu.
„Toi, Toi, Toi und guten Ritt!“, rief sie mir noch hinterher und dann passierte ich mit Irco den schmalen, von Zuschauern gesäumten Weg zu Rathausplatz, vorbei an übervollen Straßencafes, an köstlichen Duft verströmenden Würstchenbuden und Blaskapellen, die für die musikalische Untermalung des Ganzen Sorge trugen.
Irco ließ sich trotzdem nicht aus seinem Konzept bringen, obwohl uns die jubelnden Leute mächtig nah kamen und zahlreiche streichelnden Hände seine Kruppe berührten.
Das Viereck war tatsächlich gerade mal so groß wie ein Zirkel und rundherum waren die bunten Flaggen der Nationen gehisst, die im lauen Wind schwangen und das Klirren der Befestigungsringe klang wie ein Glockenspiel.
Um den Reitplatz herum standen Fernsehkameras vom NDR und später wurde ich immer wieder auf unseren Ritt angesprochen, der wohl tatsächlich in mehreren Sendungen als Aufzeichnung übertragen wurde, die über die Eröffnungsfeier der Dressur-Europameisterschaften in Osnabrück berichteten.
Blamiert hatten wir uns auch nicht, obwohl er sich nicht ganz so locker präsentierte, wie in der Zeit unserer gemeinsamen aktiven Turnierteilnahme und ich ihn im Trab gleich aus zwei Gründen nicht so gut sitzen konnte: erstens weil er sich im Rücken etwas festhielt und zweitens weil mir mein verlängertes Rückrad nach meinem Sturz auf das Steißbein immer noch höllisch weh tat und sich dort wohl gerade ein blitzeblaues Hämatom zu bilden begann, dass auch trotz Polsterung durch eine dicke Damenbinde für die intensiven Tage schmerzhaft pochte.
Aber den Leuten, die uns live und im TV sahen, hat es wohl gefallen – zumindest erhielt ich nur positive Resonanz und Micha der „Kollektivschämer“ hatte auch keinen Grund gehabt, peinlich von meinem Ritt berührt, unter einer Decke zu verschwinden.
Die Fangemeinde von Charming Irco hatte sich an diesem Tag mit Sicherheit um zahlreiche Touristen, die sich mit dem Pferd vor dem Dom fotografieren ließen und viele Kinder, die in seinem Sattel mal Platz nehmen durften, vergrößert, denn wir wurden wie eine Attraktion gefeiert und bestaunt.
Lediglich Ircos Verfressenheit warf einen klitzekleinen Schatten auf unsere sonst durchweg sonnige Laune, denn sie kostete die Unversehrtheit des Nasenbandes vom Kopfstück.
Wobei das eben auch davon kam, dass ich nett sein wollte, und ihm die Gurte und Riemen in der Pause zwischen den beiden Auftritten löste – dabei war auch der Kinnriemen und genau auf den trat er mit der Hufspitze beim Versuch das spärliche Grün zwischen den Pflastersteinen zu erwischen.
Wer ihm dabei zusah, wie er gierig die Pflasterfugen wie ein Staubsauger nach einem Gräschen absuchte, hätte wohl nicht geglaubt, dass er jeden Tag auf seiner ganz eigenen Weide steht und bestimmt genügend Gras zu knabbern bekommt, aber es mussten ja nun unbedingt die drei Halme und das kümmerliche Löwenzahnblättchen sein, das seinen schüchternen Versuch, den kopfsteingepflasterten Platz wieder für die Natur zurückzugewinnen, nun mit dem Leben bezahlte, das zwischen Ircos Zähnen endete.
Jedenfalls trat er auf den über den Boden schleifenden Lederriemen, der weil er sich darüber so erschrecken musste, dann auch zerriss.
Manchmal wundert man sich ja über die Spezies Pferd, die sich vor schnaufenden Linienbussen, flatternden Fahnen, dröhnendem Verkehrslärm und anderen schrecklichen Dingen heldenhaft benehmen und dann einen Herzinfarkt zu bekommen riskieren, weil sie sich selbst auf ihr Zaumzeug steigen und sich dabei der eigenen Kopffreiheit berauben.
Gleichzeitig mit dem Nachgeben des Lederstückes, zog er sich aber die gesamte Kandare über die Ohren und vom Kopf herunter.
Nun stand er mit nackigem Gesicht mitten in der Osnabrücker Innenstadt und für einen Moment malte ich mir schreckensbleich aus, was nun passieren würde, wenn mein Hengst, vom lästigen Gebiss und den Zügeln befreit, Richtung Rathaus galoppieren und vor allen versammelten Nationen, Veranstaltern, Fernsehkameras und Zuschauern einen Streit mit dem gerade auf dem Schauplatz befindlichen spanischen Rappschimmelhengst anzetteln würde oder die bereits auf ihren Auftritt wartende Stute, ohne Rücksicht auf die Reiterin in ihrem Kreuz im stürmischen Liebestaumel zu seiner Braut erklären und dann das mit ihr machen könnte, was man so tut, wenn man Flitterwochen feiert und den Honeymoon genießt.
Glücklicherweise hatte Irco aber mehr Interesse an dem Grün als an dem spanischen Pärchen und ließ sich am Stirnschopf festhalten, bis die Kandare wieder saß. Das Nasenband flickten wir mit Leukoplast aus dem Erste Hilfe Kasten im Auto und wir fanden sogar einen Kugelschreiber mit schwarzer Miene, mit dem wir das gruselige rosarote Pflaster anmalten, sodass es auch kaum noch auffiel, dass es um den Riemen geklebt wurde. Vielleicht hätte unser Flickwerk keiner weiteren Belastungsprobe stand gehalten, aber zumindest hoffte ich, dass es das Schlussbild überstehen würde, denn wenige Minuten später wurden wir wieder von der freundlichen Headset-Dame abgeholt, die während sie unseren gemeinsamen Auftritt mit allen Pferden nun koordinierte, immer noch Zeit fand, unsere Fragen zu beantworten, denn was wir nun genau beim Finale zu tun hatten, wussten wir ja nicht.
Aber eigentlich wussten das auch die Organisatoren nicht so genau, denn klar war nur, dass die Nationalmannschaften, ausgerüstet mit ihrer Landesflagge, begleitet von den Standartenträgern aller Osnabrücker und im Umland liegenden Vereine um das Dressurviereck herum Aufstellung nehmen sollten und wir, also die Reiter mit den elf Pferden aus den Schaubildern uns im Halbkreis in der Mitte aufstellen sollten, während auf der Treppe des Rathauses die Europahymne von der Musikkapelle gespielt werden sollte. Aber weitere Details sollten wohl vor Ort geklärt werden.
Noch einmal, diesmal aber in einer bunten Gruppe, ritten wir den Weg zum Rathausplatz und formierten uns, wie das die Organisatoren auch geplant hatten zu einem Halbkreis im Viereck - acht Hengste, zwei Wallache und eine Stute.
Ich stand mit meinem Scheckenjungen neben den beiden Andalusierhengsten und dem barock geformten Friesen und irgendwie mochte der Irco nicht, aber Irco schien ihn genauso unsympathisch zu finden, denn er giftete mit angelegten Ohren zurück, sobald der Rappe nur ein Ohr bewegte und ich überlegte, ob er ihn mit seinem Boxennachbarn Abenteuer verwechselt, mit dem er sich auch nicht immer grün ist.
Um mehr Abstand zu halten war aber viel zu wenig Platz und neben die Shagyas wollte ich auch nicht unbedingt, denn die tänzelten schon wieder schweißbeflockt auf der Stelle herum, während sich die Dame auf der Stute noch immer von einem Helfer festhalten ließ, obwohl das Pferdemädchen gar keinen so feurigen Eindruck auf mich machte, dass es eines zusätzlichen Bremsers bedurft hätte. Aber vielleicht besorgten die Reiterin die vier Herren, die sich nun in den vier Ecken des Reitplatzes positioniert hatten und die in ihren Händen viele blaue, mit den Europasternen bedruckte und mit Gas gefüllte Luftballons am Band festhielten, denn deren Aufgabe verschloss sich uns noch allen, beunruhigte uns aber trotzdem oder gerade darum alle gleichermaßen. Allerdings hatte ich da so einen Verdacht, der vermutlich auch den haltenden Helfer bei der Andalusierstute rechtfertigte.
Die Blaskapelle spielte die Europahymne und es war ein wirklich bewegender Moment. Natürlich war es auch ein erhebendes Gefühl, den Größen des internationalen Dressursports gegenüber zu stehen, denn wann ist man mit ihnen mal auf Tuchfühlung nah oder begegnet ihnen gar auf dem Pferd sitzend. In dem Moment bedauerte ich fast, dass Irco und ich so unvorbereitet und ohne entsprechendes Training vor ihnen aufgetreten waren, denn vielleicht hätte Irco den schlechten Ruf der Gescheckten im Dressurviereck aufpoliert, wenn ein prominenter Reiter lobende Worte für ihn gefunden hätte. Oder vielleicht hätte er sogar die Frage gestellt, warum denn dieses bunte Pferd nicht öfter mal die Siegerschleife tragen durfte und ob man denn die Qualität eines Pferdes oder seiner Rittigkeit und seines Talentes für die Dressur von seiner Farbe abhängig machen sollte und ihm die Platzierung verweigern darf, nur weil er ein Schecke ist - aber es sollte halt nicht sein und vermutlich war auch das für etwas gut.
Als die andächtige Haltung, die Pferde und Reiter, Nationenreiter, Standartenträger, Organisatoren, Helfer und Zuschauer während der Europahymne angenommen hatten, nach den letzten verklungenen Tönen der Entspannung wich, kam ein Helfer zu uns und stellte an jeden Reiter und Vorführer die gleiche Frage:“ Wie reagiert Dein Pferd, wenn wir die Luftballons fliegen lassen?“
Ein paar der Leute auf den Pferden wurden sichtbar um einen Ton blasser, aber die meisten und auch ich meinten, sie wüssten das auch erst dann, wenn die blauen Teile losfliegen.
„Ist es besser, wenn die Pferde dann gleich rausgehen, bevor wir die Ballons fliegen lassen?“ war die nächste Anfrage, die an uns ging. Man konnte manchen derer, die eben noch so stolz im Sattel saßen ansehen, dass sie am liebsten dem Vorschlag begeistert zugestimmt und Folge geleistet hätten. Ich gebe zu, dass mir auch etwas mulmig bei dem Gedanken war, dass elf Pferde auf 400 Quadratmetern panisch werden könnten und dann kein Platz wäre, um noch irgendwohin auszuweichen, außer in die Reihen der Zuschauer, Standartenträger und Nationalreiter und ich stellte mir vor, wie Irco Anky van Grunsven auf den großen Zeh treten würde und ich demzufolge schuld wäre, dass sie den Kampf um den Europameisterschaftstitel nicht antreten könnte, weil sie danach in keinen Reitstiefel mehr hineinpasst.
Aber andererseits wollte ich auch die Chance nutzen, beim Finale der Feier dabei gewesen zu sein und mir nachher nicht den Vorwurf machen müssen, als Hasenfuß die Veranstaltung vorzeitig verlassen zu haben.
Also schlug ich nach kurzer Diskussion vor, dass die Organisation einen Fluchtweg frei hält, der den ängstlichen Pferden den Rückzug ermöglicht, wenn sie unruhig werden, bevor unter allen Pferden Panik ausbricht und die Leute rund um den Reitplatz in Gefahr geraten könnten, von einem Pferd getreten zu werden.
Alle stimmten zu oder nickten und so bahnte man uns einen zuschauerfreien Pfad nach draußen und dann sollten die Luftballons als Boten Europas in den Himmel hinauf steigen.
Leider flogen aber die wenigsten der Ballons in die vorgesehene Richtung, denn offensichtlich waren sie entweder mit zuwenig Gas gefüllt worden oder es war vorzeitig entwichen - jedenfalls trieb nun ein Teil von ihnen über den Sand, auf die Hufe der schnaubenden und prustenden Pferde zu, teils schwebten sie in Kruppenhöhe und landeten auch auf derselben von Irco.
Doch der ärgerte sich offensichtlich mehr darüber, dass der Friesenhengst ihm wieder zu nah auf die Pelle rückte, als dass er sich um die Luftballons kümmerte, denn er spielte das Spiel mit ihm, das er sonst nur für Schimmi reserviert und das heißt: „Ich kucke Dich tot!“ und geht wie folgt: Zuerst werden die Augen starr auf den Feind geheftet, quasi das Zielobjekt des Hasses fixiert, dann folgt das hochziehen der Nüstern, damit ein möglichst verkniffener und sehr wütender Gesichtszug entsteht und dann fliegen die Ohren zurück und pressen sich so an den Nacken, dass böse Zungen behaupten, dass Irco und Schimmi schon Kuhlen dafür in der Muskulatur dafür ausgebildet haben, damit die Ohren möglichst ganz verschwinden, was natürlich noch bedrohlicher wirkt. Zähneknirschen und verachtende Blicke runden dann das „Totkuckspiel“ ab. Verloren hat, wer als erstes wegschaut.
Während also Irco wie eine züngelnde Giftschlange den Friesen zu hypnotisieren versuchte, merkte er gar nicht, dass die Shagyas inzwischen hysterisch geworden waren, denn sie trippelten nun nicht nur auf der Stelle herum, sondern schlugen nach rechts und links gegen die Ballons aus, wobei sie sich gar nicht erst die Mühe machten zu zielen, sondern einfach überall draufhauten, was ihnen in die Schusslinie geriet.
Es tat mir ja nun wirklich leid, dass Irco sich entscheiden musste, ob er lieber das Totkuckspiel gegen den barocken Rappen gewinnt oder mir seinen Gehorsam leistet und mit mir den Rückzug nach hinten antritt, aber zum Glück sah er auch ein, dass die Niederlage gegen den Schwarzen besser zu verschmerzen war, als ein Schlag vor eines seiner Beine.
Dabei überrollten wir dann aber fast noch einen der Organisatoren, der versuchte die über den Sand wehenden Europaballons einzufangen und uns prompt anschnauzte, ob wir nicht kucken könnten, wo wir hinreiten.
Contenance! warnte meine Omi mich, aber ganz gelang mir das nicht, denn ich motzte zurück: „Wenn Sie vielleicht mal, anstatt hier zwischen den Pferdebeinen durchzuklettern dafür sorgen könnten, dass die beiden Araber den Ausgang finden und vom Platz geleitet werden, bevor noch einer einen Tritt abbekommt, dann könnte ich auch wieder gezielt schauen wo ich hinreite und müsste mich nicht bemühen vor deren Hufen auszuweichen!“
Zumindest zeigten meine Worte insofern Wirkung, als dass Helfer den Reiterinnen der verstörten Shagyahengste in den Zügel griffen und die Pferde hinausführten, worüber nicht nur die Reiterinnen der Araber froh waren, sondern alle anderen, die vor weiteren Hufattacken verschont blieben auch.
Gleich im Anschluss bat auch der ungarische Post-Reiter das Viereck verlassen zu dürfen, weil die Ballons die Geduld der sonst durchaus als nervenstark zu bezeichnenden Pferde doch etwas überstrapazierten und er ja nicht nur über ein Pferd Herr bleiben musste, sondern gleich über zwei und die Andalusierstutenreiterin schloss sich ihm samt Helfer an – aber an dessen Stelle wäre ich schon gleich geflohen, als der erste Shagya das Hauen anfing, denn die Flughöhe der Hufe lag exakt auf der Augenhöhe des Mannes, der die Zügel der Stute führte.
Und als würde nun das Verlassen der Bahn endlich legitimiert worden sein und als müsste sich darum nun auch keiner mehr als Hasenfuß bezeichnen lassen, der den Platz freiwillig bereit war zu räumen, bat nun auch die Dame mit dem Kaltblut um Auslass, was mir wieder mal bewies, dass die „Kalten“ gar nicht so kaltblütig sind, sondern auch ganz schön heißblütig werden können.
Übrig blieben die beiden schneeweißen Andalusier, der spanische Rappschimmel, der Friese, das Fallabella-Mini-Pony, das sein Besitzer aber auch bequem unter dem Arm hätte wegtragen können, wenn es dann allzu aufbrausend geworden wäre und Irco und es machte mich wirklich stolz zu denen gehören zu dürfen, deren Pferde sich auch in einer Ausnahmesituation gleichmütig und problemlos reitbar gezeigt hatten und nun in einer Reihe mit den Pferden eines Pferdemusicals standen.
Zum guten Schluss konnte aber bei allen Reitern ein positives Fazit gezogen werden, denn keiner hatte unfreiwillig den Sattel geräumt und auch die Pferde konnten allesamt wohlbehalten zu ihren Anhängern zurückkehren.
Wir sind mit dem Gefühl nach Hause gefahren, das beste Pferd am Platz dabei gehabt zu haben und mit Stolz nahmen wir tags drauf die Glückwünsche derer entgegen, die unseren Auftritt im Fernsehen oder direkt vor Ort bewundert und nicht schlecht gestaunt hatten, als sie Irco erkannten und ihnen bewusst wurde, dass sie Zeuge unseres Comebacks nach sehr langer Zeit der Abstinenz im Sattel meinerseits und unter dem Sattel von Seiten meines Schecken geworden waren.
Charming Irco hatte uns einmal mehr einen fast unglaublichen Beweis seiner Charakterstärke und Rittigkeit geliefert.
Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub (Antoine de Saint Exupéry)
Gut, dass ich heute früh noch allein im Büro saß. Ich habe Tränen gelacht lachen.gif - Bild entfernt (keine Rechte)
Irco war wirklich ein wunderschöner Kerl und die Bilder von euch auf dem Rathausplatz und auf dem Weg dorthin beweisen seine große Gelassenheit. Ich glaube nicht, dass ich sowas mit einem unserer Meute wagen könnte. Der Engländer hat eh ein sehr dünnes Nervenkostüm, Herr Plüsch würde sicher versuchen, jedem Passanten Essbares zu entwenden und sogar Mulle, die stoisch an Strassen entlang schreitet, würde da sicher an die Grenzen ihrer Contenance geraten.
Ihr beide wart wirklich ein tolles Team. Und habt auch noch sehr gut dabei ausgesehen.
Liebe Grüße, Ginny
Nein, meine Pferde sind nicht schwierig - sie sind sensibel, verhaltensoriginell und emotionsflexibel - und das ist gut so !!
Zitat von Guerrouane im Beitrag #36 sehr schöne Geschichten. Sage mal - der Sambuco B war doch auch einer Deiner Jungs - oder? Gibt es zu dem auch ein Geschichtchen?
Oh ja ... von Sambuco gibt es natürlich auch eine Geschichte, aber nachdem er im Jahr 2001 über die Regenbogenbrücke galoppierte, geht sie leider nicht gut aus und während ich das schreibe, merke ich bereits wie mir die Augen zu brennen beginnen, wenn ich an ihn denke.
Aber der Forsthof und Sambuco gehören ja nunmal zusammen und darum ist hier also meine Geschichte zu Sambuco ... meine Rede an den König Sambuco – Rede an einen König
So vieles würde ich ihm gerne noch sagen und so vieles was ich ihm sagte, bereue ich und wünsche mir, ich hätte geschwiegen.
Doch wenn ich heute zu ihm sprechen dürfte, dann nur um ihn um Verzeihung zu bitten:
Vielleicht war es nicht immer die ganz große Liebe, die uns verband, denn Du warst so unerreichbar weit weg von mir – fast schien es ein Frevel zu sein Dich, den Stolzen, den unnahbaren Helden nicht zu huldigen, wie es so viele taten für die Du noch immer ein Mythos bist und der ungekrönte König der Scheckenzucht. Mag sein, dass ich nicht bereit war in dem Chor zu singen, in dem nur Lobeshymnen für Dich erklangen.
Mag sein, dass ein anderer König meines Herzens war und ich nicht akzeptieren konnte, dass man Dich mit Lorbeer kränzte und nicht ihn, den der ihn Deinem Schatten immer nur verblassen konnte, doch glaube mir, dass ich mich schäme, dass ich so oft mit Missgunst Deinen Ruhm in Frage stellte und Deinen Glorienschein, der Dich umgab nicht zu polieren bereit war, sondern seinem goldenen Schimmern und seinem Glanz den Wert absprach.
Doch glaube mir ... ich habe Dich geliebt, auch wenn ich es Dir nicht zeigen, nie beweisen wollte oder konnte, aber wenn Du mich nun hörst, dann lass mich hoffen, dass Du mir vergibst.
Und dass ich in der Stunde Deines Todes nicht bei Dir war – Sambuco, bitte glaube mir, war die größte Strafe, die ich erfahren habe, denn als ich Dich besuchte und fühlte, dass es das letzte Mal sein sollte, dass ich Dich sah, da war mir, als schlüge ein Schwert mein Herz entzwei und ich wusste, dass wenn mir noch einmal die Zeit mit Dir geschenkt worden wäre, ich sie klüger zu nutzen gewusst hätte, als mich gegen unsere Freundschaft zu wehren.
Und so hoffe ich, dass Du mich hörst, dass es nicht zu spät ist und ich Dich nun meinen Freund nennen darf.
Und wie einen Freund, einem Gefährten, mit dem man die Vergangenheit und die Erinnerung daran teilen darf, möchte ich Dich fragen: „Weißt Du noch, weißt Du noch Sambuco, wie viele schöne Momente Dir und uns das Leben schenkte?
Erinnerst Du Dich noch, als wir Dir das erste Mal begegneten im September des Jahres 1996 ... na ja, ich gebe zu, da hatte ich mein Herz gerade an Deinen Boxennachbarn Charming Irco verschenkt, aber Micha überzeugtest Du sofort, wie Du Dein ganzes Leben lang immer alle Menschen im Sturm erobert hast und so zögerte er auch nicht eine Sekunde, Dich zu kaufen, als das Angebot kam.
Dabei trugst Du nicht unbedingt einen bedeutenden Namen, der darauf hätte schließen lassen, dass aus Dir einmal der Cor de la Bryere der Scheckenzucht werden würde, als Du am 08.06.1987 bei Deinem Züchter, Herrn Jonkers in Boyl in den Niederlanden geboren wurdest. Dort ist es nämlich üblich, dass bei der Namensgebung der Fohlen der Buchstabe, welcher in jedem Jahr vorgegeben wird, und welcher durch das fortlaufende Alphabet bestimmt ist, für die Benennung des Pferdekindes maßgeblich ist und da 1987 das F angesagt war, taufte man Dich erst einmal auf den wenig klangvollen Namen Frits.
Dein Vater war der Jahrhundertschecke Samber v. Pericles xx, den Du vielleicht noch übertreffen konntest. Deine Mutter Solinde war Ster und Pref-Stute. Ihr Vater, der Vollblüter Le Faquin xx erhielt sogar die Auszeichnung Keur, die meines Wissens in den Niederlanden nur aufgrund herausragender Nachzucht vergeben wird.
Überhaupt war Deine gesamte Verwandtschaft von herausragender Qualität – in Deinem Papier versammelte sich quasi das „who is who“ der Zucht, denn es waren ausschließlich Ster, Pref und Keur-Pferde, die sich darin tummelten und so war Dir, dem damals noch kleinen Halbblut-Schecken von Deinen Halbblut-Eltern das beste Rüstzeug mitgegeben worden, um einmal ein ganz "Großer" zu werden.
Drei Jahre nach Deiner Geburt, im Jahr 1990 feiertest Du dann auch Dein Debüt als gekörter Hengst und der Verband bayrischer Pferdezüchter zeichnete Dich zusätzlich zum positiven Körurteil mit einem Prämientitel aus.
Allerdings schien zu einem so hoch dekorierten Hengst nun der Name Frits eher albern zu sein und so erhieltest Du, dem Anfangsbuchstaben Deines Vaters Samber folgend den Namen Sambuco. Ob die Tatsache, dass man Deinen Namenspaten Sambuca, den italienischen Schnaps mit einer Kaffeebohne und vorab flambiert trinkt dazu beigetragen haben mag, dass Du ein feuriger Knabe wurdest und Dich die Müdigkeit nie schwächeln ließ, wenn es darum ging, einen guten Eindruck bei den Züchtern zu hinterlassen, deren Stuten Du dann auch alle bekamst, oder ob Du schon vorher so warst, wie ich Dich kennen lernte, das habe ich nie herausgefunden. Aber dass ich, nachdem wir Dich gekauft hatten, eine Vorliebe für Sambuca entwickelte, daran warst ganz sicher Du schuld.
Das B, welches Du als Suffix am Ende Deines Namens trugst, verleitete mich oft zu einem kleinen Schwindel, denn ich behauptete zu gern, dass es die Abkürzung für unseren Nachnamen, Bröckel, steht und hoffe, dass mir Dein damaliger Besitzer, Herr Bachl aus Postmünster diese, meine Verbreitung der Unwahrheit nachsieht.
Dass Du direkt nach der Körung verkauft wurdest und fortan in Niedersachsen Dein Domizil fandest, mag unser Glück oder Dein und mein Pech gewesen sein – unser Glück darum, weil wir uns sonst nie kennen lernen hätten dürfen, Dein und mein Pech, weil ich nicht weiß, ob Du dann noch leben würdest, wenn wir uns nicht auf dem Forsthof begegnet wären und weil ich dann nie um Dich hätte trauern müssen.
Ganz sicher war es aber eine wichtige Sprosse, die Dir als Möglichkeit geboten wurde, nach ganz oben auf der Karriereleiter zu klettern, denn nun gehörtest Du einem ehrgeizigen Vielseitigkeitsreiter und als zukünftiger Stern, der am Military-Himmel aufzugehen schien, reichte es Deinem neuen Besitzer auch nicht, dass Du „nur“ die Mindestleistungsprüfung in München-Riem erfolgreich abgelegt hattest. Darum schickte er Dich 1992 nach Redefin zum 100-Tage-Test, der Hengstleistungsprüfung, welche Dir die Tür zur „seriösen“ Warmblutzucht und den Landesverbänden öffnete, die der Scheckenzucht bis zu diesem Zeitpunkt sehr kritisch gegenüber standen, denn Pintohengste gab es damals genügend, aber einen, dem es gelang, sich mit der Elite der Deutschen Sportpferdezucht zu messen und dabei sogar einige der Jungs hinter sich lassen konnte, das war schon etwas Außergewöhnliches ... aber dass Du besonders bist, daran hatte ja auch keiner gezweifelt.
Zu Deinem Suffix bekamst Du nun auch noch den „Vornamen“ „Forsthofs“ und damit auch die Verantwortung übertragen, Deinem Stall keine Schande zu machen ... Du hast aber immer nur Ruhm und Ehr durchs Hoftor getragen und wer vom Forsthof sprach, der tat es eigentlich immer ehrfürchtig und ausschließlich nur im Zusammenhang mit Dir.
Es hätte einen also nur wundern können, wenn sich noch irgendeiner Deinem Siegeszug verschlossen hätte.
Und so tragen heute Deine zahlreichen Töchter und Söhne auch die Brände von Westfalen, Rheinland, Oldenburg und den Verbänden des Ostens. In Griechenland, den vereinigten Emiraten, Frankreich, Luxemburg, der Schweiz, den Niederlanden und auf Teneriffa wurden Deine Nachkommen geboren und in den ersten Jahren standen die Damen Schlange vor Deiner Tür ... nun, Du hast keine abgewiesen und brachtest es auf weit mehr als 100 Bedeckungen pro Saison.
So als Vererber ausgelastet, wurde Deine eigene Sportkarriere nicht angestrebt, zumal Du – entschuldige wenn ich das anmerken muss, aber ich denke, so ehrlich müssen wir sein - auch eine ganz eigene Einstellung zur Arbeit unter dem Sattel hattest. Dabei fehlte es Dir nicht an Vermögen, denn Du warst bis in die höchste Dressurklasse ausgebildet und sprangst mit außergewöhnlich viel Technik und Vermögen.
Wer das Glück hatte, Dich reiten zu dürfen, wenn Du ihm bereit warst, den Reiterhimmel zu schenken, schwärmte noch Jahre später von dem Erlebnis und brachte seine Begeisterung bei jeder passenden Gelegenheit zum Ausdruck - wer das Pech hatte, nicht auf Deiner Werteskala ganz oben zu stehen, ging besser zu Fuß.
Vielleicht ist das aber auch gut so, denn als ich einmal gefragt wurde, warum ich mit Dir nicht unterwegs bin, um Serienerfolge auf den Turnierplätzen zu sammeln, da konnte ich nur antworten, dass Du es nicht verdient hättest, von einem anderen geschlagen und auf den zweiten Platz verdrängt zu werden, weil Du ein Sieger bist.
Aber Du hättest es auch nie nötig gehabt, für Dich und Deine Vererberqualität Werbung zu laufen, denn das taten Deine vielen erfolgreichen Kinder, denen Du Ehrgeiz und Talent mitgabst.
Könntest Du das Jahrbuch Zucht lesen, Sambuco, Du würdest so stolz sein, denn im Jahr 2007, dem Jahr, in dem Du Deinen 20. Geburtstag hättest feiern dürfen, verzeichnete man für Dich eine Nachkommenslebensgewinnsumme von 53.311 Euro bei 138 Nachkommen, die von der FN als Turnierpferd registriert sind.
Ich schätze, das wäre ein Grund gewesen, die Korken knallen zu lassen, aber ohne Dich ...
Da war uns war auch eher zum Heulen, als zum feiern zumute, obwohl es uns ein sehr tröstlicher Gedanke ist, dass Du der Zucht mehr als 60 eingetragene Stuten und 12 gekörte Hengste hinterlassen durftest und Dich damit unsterblich gemacht hast.
Vielleicht hat dieses Wort „Unsterblichkeit“ sogar noch eine ganz besondere Bedeutung, wenn man weiß, dass vier Tage nachdem Du auf die ewigen Weiden abberufen worden bist, mit Deinem seinem letzten Samen noch ein Fohlen gezeugt werden konnte: Spirit M wurde im Jahr 2002 geboren und in Kreuth 2004 gekört.
Vielleicht bist Du ja auch für Wunder gut.
Besonders stolz waren wir natürlich darauf, dass Du noch lange nach Deinem Tod, Deine Bedeutung nie verloren hast und darauf, dass Dein Name noch immer in den Pedigrees von erfolgreichen Auktionspferden, Zuchtstuten und Köraspiranten zu finden ist.
Welch glanzvoller Moment war es zum Beispiel, als Dein Sohn Strahlemann und Dein Enkel Skooby-Doo zum Siegerhengst ihrer Körung berufen wurden oder Dein Sohn Sidney es zusammen mit Dir schaffte, als erste bunte Hengste den Körsegen auch vom Oldenburger Verband zu erhalten.
Keinen der Dich kannte verwunderte, dass gleich aus Deinem ersten Jahrgang Sinclair B die Zuchtzulassung erhielt und Steven T. kurz darauf die Siegerschärpe tragen durfte.
Die Liste der Erfolge Deiner Söhne ist lang und jeder von ihnen - auch Sahin, Samba-pa-ti, Smooth Opperator, Showtime und Sambuti - tragen Dein Erbe, das Erbe ihres wunderbaren Vaters in sich und stellen es der gescheckten Zucht zur Verfügung.
Und Deine Töchter müssen sich heute auch nicht mehr schämen, wenn sie Deine bunte Jacke tragen, denn ich kann Dir berichten, dass Deine Enkelin an der Elitefohlenauktion in Vechta mit 36.000 Euro das teuerste Stutfohlen wurde und das trotz, oder vielleicht gerade wegen der Flecken in ihrem Fell.
Hättest Du das geglaubt, damals, als wir mit Dir das Ziel anstrebten, dass Deine Kinder das gekrönte O tragen dürfen? Dass Du dort nicht nur als Exot geduldet, sondern irgendwann sogar die Anerkennung und Würdigung als der Grandseigneur der bunten Pferde erfahren würdest, von der wir doch weit vor den hohen Herren der Kommission überzeugt waren, dass sie Dir zusteht?
Oft überlege ich, ob es wahr ist, dass der Teufel sich stets die Besten holt und dann bin ich mir sicher, dass der Höllenfürst keinen guten Entscheid getroffen hätte, Dich zu sich zu holen, denn Du hättest selbst ihn seines Thrones verwiesen und Deinen Platz als die Nummer eins beansprucht.
Vielleicht aber musstest Du sterben, um unsterblich zu werden, denn alt zu werden und an Glanz zu verlieren, hätte nicht zu Dir gepasst und so bist Du auf dem Zenit Deiner beispielhaften Hengstkarriere und Deines züchterischen Wirkens am 04. Juli 2001 mitten aus Deinem glamourösen Leben gerissen worden.
Du wurdest nur 14 Jahre alt.
Die dunkle Ahnung, dass etwas Furchtbares passieren wird, trug ich in mir, als ich für ein paar Tage verreiste und ich nahm sie auch wieder mit nach Hause.
Dass es Du sein würdest, den wir am gleichen Tag, als ich ankam mit einer Kolik in die Klinik fahren würden, wusste ich erst, als ich in Deine Box schaute und Dich dort liegend fand.
Wie immer, wenn wir ein Pferd zur Behandlung aus unserer Verantwortung gaben und es für immer ging, mache ich mir auch bei Dir bis heute Vorwürfe, ob alles gut geworden wäre, wenn wir Dich nicht weggeschickt hätten, doch die Antwort wirst Du uns wohl noch eine Weile schuldig bleiben.
Trotzdem möchte ich, dass Du weißt, dass wir Dich nicht abschieben wollten, sondern den Veterinären der Klinik vertrauten, dass sie Dich retten werden und darum auch für alle Maßnahmen unser Einverständnis gaben, die sie für nötig und wichtig hielten.
Vielleicht haben wir Dich mit der Kolikoperation sinnlos gequält, aber auch wenn ich ahnte, dass es kein gutes Ende nimmt, starb mit Dir die Hoffnung doch zuletzt.
War es richtig, nicht gleich aufzugeben, als sich Deine Blutwerte nach der OP kontinuierlich verschlechterten?
Doch Du nährtest mit Deinem Lebenswillen und dem Kampf gegen den finstren Kameraden Tod unseren Glauben, dass wenn wir so stark sind wie Du, Deine Pein nicht sinnlos gewesen sein muss, aber als nach vier Tagen Dein Kreislauf kollabierte und Deine Nieren ihren Dienst versagten, schien alles mit einem Mal so aussichtslos zu sein.
Als sich der operativ entleerte Blinddarm wieder anfüllte und er auf die OP-Naht drückte, dass die Narbe begann durchzubrechen, war der Entscheid Dich, der Du drei Tage lang unter stärksten Medikamenten gegen die Schmerzen angegangen warst und stumm alles gelitten hast, zu erlösen keine Frage mehr sondern eine traurige Pflicht.
Dein Tod war und ist für alle die Dich kannten und schätzten unfassbar und er hinterließ eine große Lücke nicht nur bei uns, sondern bei allen Züchtern und Freunden der Zucht der bunten Pferde.
Du hättest Dich sicher gefreut, denn der große Bahnhof, den alle für Dich machten, wäre ganz nach Deinem Gusto gewesen, schließlich liebtest Du es immer im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen – mit Dir wäre es wohl ein rauschendes Fest geworden.
So aber war es eine traurige Zeit, in der uns Beileidsschreiben, Faxe und Mails aus dem In- und Ausland, aus Europa und USA erreichten und uns Deine unwiederbringbare Einzigartigkeit schmerzlich bewusst machten, aber sie zeugten auch von Deiner Popularität, denn dass uns fremde Menschen uns schrieben, dass sie unsere Trauer mit uns teilen und uns ihr tiefes Mitgefühl aussprachen, hatte ich selten zuvor gehört ... außer vielleicht bei Pferdelegenden wie Halla, Meteor oder Deister. Deinen Namen nun mit den ihren in einem Atemzug zu nennen, fällt mir jetzt nicht mehr schwer, denn der amerikanische Verband gescheckter Pferde gab Dir sogar einen Platz in der Hall of Fame.
Ich bin fast sicher, dass Du Dir Deine Abschiedsfeier am 14. Juli 2001, die wir mit unserem Zuchtleiter, Herrn Britze, Deinen und unseren Züchtern und den Freunden im Rahmen unseres Brenntermins für Dich zelebrierten, nicht entgehen lassen hast, denn ich fühlte Deinen Blick auf mich gerichtet, während ich die Laudatio auf Dich hielt, bei der sich keiner seiner Tränen um Dich schämte und ich glaube sie hätte Dir gefallen müssen.
An der Stelle Deiner Weide an der Du in Deiner allmorgendlichen Parade Deinen Stuten den Gruß abnahmst, wächst nun eine Lärche. Sie verkörpert Stärke und Kraft – das, was ich mit Dir verbinde. Wir haben sie Dir zum Gedenken gepflanzt.
Dein Halfter, Dein Namensschild und Dein Bild haben einen Ehrenplatz bei uns erhalten und vielleicht wird es Dich freuen zu hören, dass wir Dein Refugium bis heute an keinen Anderen vergeben haben.
Ja, es stimmt zwar, dass ich versuchte, Deine Box, die uns so leer erschien, mit neuem Leben zu füllen, weil es immer wieder neu schmerzte, hineinzuschauen, sodass ich sie zuerst schließen musste, um die Erinnerung an Dich dort hinein zu verbannen und zu verhindern, dass die Wunden, kaum dass sie sich zu schließen begannen, wieder von neuem brannten.
Doch Du weißt es - es stand keinem zu, Deinen Platz einzunehmen ...
Nicht Deinem Sohn Smooth Opperator, der nach kurzem Gastspiel in Deutschland nach Frankreich abberufen wurde.
Nicht Sambuti, der ohne Frage qualitätsvoll und bildschön ist – aber dem Erbe, das er antreten sollte, konnte er nicht gerecht werden, denn zu allgegenwärtig warst Du, ihr Vater und zu schmerzlich der Vergleich mit Dir.
Ich weiß, dass Dich das freut zu hören, dass uns dabei klar geworden ist, dass es nicht möglich war und nie sein wird, Deine Box an einen Deiner Söhne abzugeben und Dich zu ersetzten und vielleicht beruhigt es Dich zu wissen, dass wir es auch nicht mehr wollen, denn ich gebe zu, dass Du der Einzigartige bist und jeder der sich mit Dir vergleichen lassen müsste, kann nur blass aussehen neben Dir – also was soll’s ... Du hast gewonnen und mich überzeugt.
Aber ein wenig schmerzlich ist der Gedanke schon, kein buntes Pferd mehr im Stall zu haben, denn mit dem Verkauf Deiner letzten Töchter ist die Ära der Pintozucht bei uns zu Ende gegangen und vielleicht sollte ich Dir dafür Abbitte leisten, dass ich nicht Wort gehalten habe, weil ich Dir eigentlich nach Deinem Tod versprochen hatte, Dein Erbe für immer bei uns zu bewahren und es sieben Jahre danach schon brach.
Doch Du bist gegangen und keiner konnte Dir das Wasser reichen und hast Du nicht immer gewollt, dass ich keine anderen Könige neben Dir huldige?
Nun tue ich es, denn an Dich konnte ich glauben und mit Dir an die Geburt stets noch besserer Generationen, doch mit Dir starb mein Glaube an das bunte Pferd und ist es nicht der Tribut, den ich nun an die Liebe zu Dir bezahlen sollte, Dich unvergleichlich zu machen?
Woher sollten wir nun den Mut nehmen, da weiterzumachen, wo Du nicht mehr warst und doch bis heute so allgegenwärtig bist?
Natürlich gab es Menschen – Züchterfreunde, bei denen wir Trost und Hilfe fanden und denen wir dafür dankbar sind, dass sie uns die Kraft gaben, Dein Andenken zu bewahren und lebendig zu halten, da wo Du gewirkt hattest - auf dem Forsthof, aber Du und der Forsthof gehörtet zusammen, wart mehr als ein Jahrzehnt miteinander verbunden wie ein altes Ehepaar und nun sah es so aus, als könnte der eine nicht ohne den anderen existieren.
Vielleicht war es nicht nur die Scheckenära, die mit Deinem Verlust zu Ende ging, sondern auch die Deiner Heimat, die für das Besondere stand, das Du wie kein anderer verkörperte.
Nichts ist mehr wie es war und nie mehr wird es so werden.
Deine Verdienste um die Scheckenzucht wurden vielfach gewürdigt, so ehrte man Dich 1998 anlässlich der Bonte-Paarde-Stichting-Auction in Tolbert/NL in einem bewegenden Schaubild.
Wie immer hast Du uns auch dort gezeigt, dass Du Dich in keine Schublade schieben lässt und Dir auf unsere Ideen, die wir Dir aufzuoktroyieren versuchten, ein Liedchen pfeifst.
Dabei hatte man Dir die Fürstensuite eingerichtet in dem Stall, in dem Du bis zu Deinem Auftritt untergebracht wurdest und eigentlich hättest Du wirklich keinen Grund gehabt, Dich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit Deinem Boxennachbarn anzulegen, kaum dass ich mich nach dem Babyöl umgedreht hatte, um Dein nobles Gesicht noch mehr zu betonen und Akzente an Augen und Nüstern zu setzen.
Wie Du es geschafft hattest, die Box zu verlassen, obwohl ich Dich darin angebunden hatte, das wird mir wohl ein ewiges Rätsel bleiben, aber vielleicht war ich auch einfach zu unvorsichtig, obwohl ich wusste, was für ein Entfesselungskünstler Du sein konntest.
Es war mir natürlich sehr peinlich, das wir so nett und gastfreundlich aufgenommen wurden und Du, unser selbsternannter Superstar, als erstes die Fronten mit den Hausherren zu klären versuchtest, anstatt Dich bescheiden, wie ein honetter Gast zu benehmen.
Ich glaube, ich war für den Rest des Tages schon bedient, als ich Dich in die Box zurückbugsiert hatte, denn natürlich sahst Du gar nicht ein, dass diese Fehde nun unentschieden enden sollte, nur weil ich Dich an weiteren Rüpeleien hinderte. Jedenfalls hattest Du den Kerl neben Dir auf dem Zettel und nachdem Du so richtig in der Laune warst, nun jemanden zu vermöbeln, musste der nächste Hengst eben leiden, der uns auf dem Weg zur großen Schauhalle begegnete.
Zu Deiner Verteidigung sei gesagt, dass es in den Gängen zuging wie auf dem Jahrmarkt und offenbar keiner der Aussteller der anderen Pferde in Sorge zu sein schien, dass zwei sich begegnete Pferdekerle eventuell nicht so grün sein könnten – jedenfalls hielt im Gedränge niemand, also weder Hengsthalter noch Zuschauer und Auktionsbesucher, nur eine Spur von Sicherheitsabstand. Das bereute der Vorführer Deines erklärten Opfers kurze Zeit später, denn lange gefackelt hast Du noch nie, wenn es darum ging, die Straßenverkehrsordnung und im speziellen die Definition des Vorfahrtsrechtes zu Deinen Gunsten zu interpretieren und das auch durchzusetzen.
Mag erschwerend hinzukommen, dass ich kein Wort holländisch sprach und die Niederländer, die dort deutlich in der Überzahl waren, kein Wort von dem deutschen Warnhinweis verstanden, den ich in die Runde schickte, als Micha Dich Richtung Halle führte.
Wobei es vielleicht auch kein Deutscher begriffen hätte, warum ich: „Vorsicht heiß und fettig“, rief, aber auf: „Achtung! Mal weg da, der versteht keinen Spaß und haut“, reagierte ja auch keiner entsprechend vorsichtig und so hoffte ich, dass im Ursprungsland der Pommes Frites die Begriffe „heiß“ und „fettig“ auch Assoziationen zur Gefahr weckten und die entsprechende Reaktion des Zurücktretens hervorzurufen imstande waren.
Um es kurz zu machen: Es ging schief, denn keiner ging zur Seite und keiner verstand Deine warnend angelegten Ohren und die zornig hochgezogenen Nüstern – auch der Kumpel nicht und sein Besitzer, die versuchten, sich an Dir vorbeizudrängeln und weil Du keine halben Sachen machtest, zieltest Du perfekt und tratst dem dicken Oranje-Pferdchen solide Deine zum Glück unbeschlagenen Hinterhufe in die Rippen und das legte sich prompt platt auf die Seite.
Nicht dass Du Dich darum kümmern wolltest, dass es den Hengst von den Füßen geholt hatte, als Du trafst, aber zumindest Deinen „Monarchenblick“ musstest Du ihm noch senden, nachdem Du ihn flach auf die Bretter geschickt hattest und Du damit einen Sieg durch K.O. in der ersten Runde errangst, denn wer dem König den Weg versperrt, der ist ein Frevler und musste selbstverständlich auf der Stelle abgemahnt werden.
Vielleicht hätte ich mir auch die wortreichen Entschuldigungen sparen können, weil mich sowieso keiner verstand, aber nachdem Dein Opfer wohlbehalten wieder auf allen vier Hufen stand und offensichtlich keinen Schaden davongetragen hatte, zog ich es auch vor, mich erst mal unsichtbar zu machen und nicht unbedingt mit Dir in Verbindung gebracht zu werden.
Im Schauring hast Du dann natürlich brilliert, denn so ein mal eben gewonnener Boxkampf auf der Stallgasse, poliert das eigene Selbstbewusstsein ja ungemein, besonders Deins wuchs gewaltig und die schmächtigen Vorführer, welche Dich versuchten daran zu hindern, mal richtig Gas zu geben, die hast Du einfach ignoriert und sie, als es passte, an der Bande abgestreift, um dann noch mal so richtig loszulegen und dem Publikum zu zeigen, wie viel Musik da noch in den Tanzbeinen steckt.
Du hattest die Lacher auf Deiner Seite und für Deine Show erntetest Du auch noch stehende Ovationen und frenetischen Beifall.
An der Hand Deines geliebten Herrn hingegen warst Du stets ein sehr wohlerzogener Junge und so wurde Dir im Jahr 2000 nicht nur als erste Schecke den Elitetitel anlässlich einer Schau verliehen, sondern Dein stolzer Vorführer Micha bekam auch noch die Auszeichnung als bester Vorführer, wobei er selbst wohl am wenigsten nachvollziehen konnte, wie er denn zu der Ehre kam, denn eigentlich hatte er ja nur versucht, mit Dir Schritt zu halten und Du warst so gnädig und hast es ihm nicht allzu schwer gemacht.
Es war etwas Magisches zwischen Euch, ein Zauber, der jedem auffiel, der Euch zusammen sah und vielleicht war ich manchmal ein wenig eifersüchtig, weil Du bei mir jede Möglichkeit auskostetest, mir zu zeigen, dass Du keinesfalls bereit gewesen wärest, kadavergehorsam wie Irco meine Wünsche zu erfüllen oder Deine Kooperationsbereitschaft wie die von Donni mit Leckereien käuflich gewesen wäre.
Du stelltest mich auf die Probe, führtest mich vor und – ganz ehrlich, Du hast es mir manchmal schon schwer gemacht, Dir Deine Überheblichkeit nicht übel zu nehmen, mit der Du prinzipiell nicht das bereit warst zu tun, was ich gerade von Dir verlangte.
Dabei waren meine Erwartungen ja auch nicht eben übermäßig hoch, denn dass Dir das Mützchen danach geständen hätte, Dich zu meinem Knecht zu machen, war absolut fern jeder meiner Hoffnungen, aber die Illusion, dass Du es wenigstens in Erwägung ziehst, darüber nachzudenken, dass Du mir zumindest den einen oder anderen Gefallen tust, weil ich Dir dafür Dein Dolce Vita sicherte, hättest Du mir nicht auch noch permanent rauben müssen, oder?
Sicher, Du machtest Deinen Job auf dem Phantom ... wenn eine passende Braut als Animiermädchen Dich zu stimulieren vermochte, doch auch da hattest Du Vorlieben und Abneigungen, denn wie fast alle Jungs mochtest Du die Damen mit den blonden Mähnen und den dicken Hintern und Micha hätte Dir vermutlich den Wunsch nach einer eigenen Haflingerin auch noch erfüllt, wenn ich nicht dagegen interveniert hätte.
Aber in Ermangelung der Wunschkandidatin durfte es durchaus auch mal eine jungfräulich weiße Schimmeline sein oder ein kesses Scheckenmädchen, wobei auch hier die Weißmähnen, die Blondinen der Pferdewelt, von Dir bevorzugt wurden.
Irgendwie haben wir uns dann auch mit den Jahren arrangiert und erledigten unsere Arbeit mit professioneller Routine – Du den Deinen und ich den meinen – und solange ich nicht auf die Idee kam, Dir darüber hinausgehende Aktivitäten aufzubürden, waren wir gar kein schlechtes Team.
Vielleicht musste man auch wissen, dass Du durchaus in der Lage warst zu zählen, was bedeutete, dass dadurch Deine ökonomische Einstellung zur Arbeit hilfreiche Unterstützung darin fand, dass bei sonntäglichen Hausbesuchen von Deckinteressenten und Stutenbesitzern Du immer erst mit einem fachmännisch abschätzenden Blick Richtung Zuschauer prüftest, wie viel Aufwand sich überhaupt lohnt. Standen da etwa höchstens zwei oder drei zukünftige Kunden, botst Du maximal das abgespeckte Programm, was im besten Fall hieß, dass Du die Hindernisreihe zweimal übersprangst und spätestens beim dritten Erhöhen der Stangen die Beine derart baumeln ließest, dass nun die bunten Stangen zu Boden fielen.
Jedem anderen hätte man eine Lektion in Sachen „nun pass doch aber mal auf!“ erteilt, aber nicht Dir. Mit Dir zu streiten oder gar Grundsatzdiskussionen auszufechten endete immer darin, dass man zähneknirschend den kürzeren zog, denn schließlich wollte man ja vor den Besuchern noch den Hauch eines einigermaßen guten Eindrucks hinterlassen und wenn Du erst mal so richtig in Fahrt warst und ich auch ... na ja wir waren halt beide echte Sturköpfe, schließlich teilten wir uns ja auch das Sternzeichen des Zwillings.
So minimalistisch Du sein konntest, wenn das Publikum Dir nicht für das komplette Showprogramm reichte, so beeindruckend war Deine Präsentation, wenn Du genügend Zuschauer dafür fandest.
Dann spieltest Du mit den Höhen der Oxer und Steilsprünge und schwebtest mit bodenverachtenden Tritten durch die Diagonale, dass die Leute aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. Allerdings wolltest Du auch dann Dein Programm vorführen und nicht etwa den Eindruck entstehen lassen, dass Du es nötig hast zu tun, was ich Dir sage.
Ich glaube Deinen größten inneren Reichsparteitag feiertest Du, als wir mit Dir eine Kür am langen Zügel einstudiert hatten, der an unserer Weihnachtfeier, die gleichzeitig auch Hengstschau des Forsthofs war, gezeigt werden sollte.
Selbstverständlich sollte die Choreographie entsprechend Deinem hohen Ausbildungsgrad auch anspruchsvoll sein und so baute ich Piaffen, Passagen, Traversalen und fliegende Galoppwechsel ein und Du warst auch während aller Proben ungewöhnlich kooperativ, so dass ich schon ahnte, dass Du etwas im Schilde führst.
Selbstverständlich war mir auch gleichzeitig klar, dass Du die Überraschungsbombe auch erst dann platzen lässt, wenn genügend öffentliches Interesse an Deinem spektakulären Auftritt gesichert sein würde und so blieb ich misstrauisch, was die zuversichtlichen Prognosen derer anbetraf, die den Proben beigewohnt hatten und überzeugt waren, dass wir das absolute Highlight der Veranstaltung bilden würden.
Ganz unrecht hatten sie ja nicht, denn wir erhielten wirklich mit Abstand den meisten Applaus, wobei er nur Dir zustand, denn Du ignoriertest mich komplett und warfst damit meine gesamte Kür über den Haufen.
Beim Eintritt in die festlich geschmückte Halle strahlte ich noch vor Stolz und während Beethovens Sinfonien – nichts anderes hätte Deine Herrlichkeit so passend unterstrichen – uns begleiteten und wir auf dem Mittelpunkt der Bahn Aufstellung zum Gruß nahmen, drehtest Du Dich zu mir um und Dein Blick sagte: „So, jetzt bist Du fällig!“.
Können Pferde hämisch grinsen? Oh ja, Du konntest es!
Dass Du das Kommando von da an übernahmst fiel vermutlich keinem wirklich auf, höchstens denen, die das Programm kannten und merkten, dass Du mich wie einen recht netten, aber nur der Dekoration dienenden Statisten durch die Lohe scheuchtest, wobei ich versuchte, mit Dir Schritt zu halten und nicht hinter Dir herzustolpern, was ziemlich schwierig war, weil Du erstens ziemlich flott unterwegs warst und zweitens ich nie wusste, in welche Richtung Du als nächstes abzubiegen vorhattest und mich entsprechend auch auf keine einstellen konnte.
Kann man lächeln und gleichzeitig fluchen?
Ja man kann!
Allerdings war meins eher ein eingefrorenes, grenzdebiles Zähneblecken, weil ich zwischen meinen Beißerchen hindurch diverse Verwünschungen in Deine Richtung schickte, während Du die perfekte Aufführung abspultest mit allen Lektionen, aber eben in einer Reihenfolge, die Du bestimmtest und die weit, weit von meiner Version entfernt war.
Man kann sich ungefähr also vorstellen, dass es ein wenig was von Slapstickkomik hatte, dass Du zum Beispiel aus dem Galopp plötzlich zum Halt bremstest und ich mir fast den Unterkiefer an Deiner Schweifrübe ausrenkte, auf die ich aufprallte, weil ich den Schwung nicht so schnell aus meinen Beinen nehmen konnte wie Du – Kunststück! Du warst ja auch vorbereitet und ich nicht!
Ich glaube, ich habe Dir beim Austritt aus der Halle, noch vom tosenden Beifall verfolgt angedroht, dass wenn Dich nicht sofort einer aus meinen Fängen rettet, ich Dich zu Gulasch verarbeitet, in Dosen verpackt und auf Palette geschichtet mit dem Gabelstapler in die Box schiebe.
Wie immer hattest Du aber Deinen Herrn auf Deiner Seite, der sich ausschütten wollte vor Lachen über Dein Husarenstückchen und mich versuchte zu trösten indem er meinte: „Ist doch egal, ob es Deine Kür war oder ob er seinen Weg lang marschierte – die Leute waren jedenfalls begeistert“.
„Pah“, konnte ich dem in dem Moment gar nicht mehr unbedingt besten Ehemann von allen entgegenschleudern, „Dass Du ihn wieder in Schutz nimmst, das war ja klar und darum ist der ja auch so kotzarrogant und frech, weil er weiß, dass er in Dir immer einen findet, der ihm Rückendeckung gibt, wenn’s brenzlig für ihn wird!“.
„Ach mein Butterkekschen“ – ich hasse es wenn er mich so nennt – „Du magst doch selbstbewusste Pferde und diejenigen, die immer für eine Überraschung gut sind, die ziehst Du doch den langweiligen Reitmulis vor. Was also stört Dich nun daran, dass Sambuco den Auftritt mit seiner eigenen Kreativität gewürzt hat? Den Leuten hat es doch gefallen und Du hast gar nicht mal soooo schlecht dabei ausgesehen.“
Ich glaube, ich überlegte mir in dem Moment, ob ich nicht den Herrn und sein stures Ross zusammen eindosen sollte ... mir so was von in den Rücken zu fallen!
„Ich mag Kreativität, wenn sie auf Leinwand gepinselt wird oder zwischen zwei Buchdeckeln in Form von vielen spannend geschriebenen Seiten gebunden ist, aber von meinen Pferden erwarte ich in erster Linie Gehorsam und keine konspirativen eigenen Ideen, mit denen sie meine wochenlang in mühsamer Arbeit geplante Kür platzen lassen und ich mag selbstbewusste Pferde, solange sie nicht selbstbewusster sind als ich!“
Darauf sollte er erst mal eine Antwort finden.
„Von Halla spricht eine ganze Nation noch heute als Wunderstute, weil sie ihren verletzten Reiter auch ohne dass er sie mit seinen Hilfen führen konnte über den Olympiaparcours trug und sich den richtigen Weg selbst suchte und Sambuco wirfst Du vor, dass er das gleiche tat...“
„War ich verletzt?! Oder habe ich ihn um seine Eigenmächtigkeiten gebeten?!“
Doch Dein Herr hielt zu Dir und führte Dich stolz grinsend in Deine Box, wo er Dir zur „Feier des Tages und weil Du Deine Sache so gut gemacht hattest“ auch gleich den Trog mit Möhren füllte ... von mir hättest Du nicht eine bekommen!
Ach Sambuco, nun bin ich ja schon wieder mit Dir gram, dabei hatte ich Dich eben noch um Verzeihung gebeten, weil ich oft Dinge zu Dir sagte, die mir heute so leid tun.
Wie kann ich Dir im nachhinein noch Deine geliebten Möhren missgönnen, wo ich doch froh wäre, wenn ich sie Dir heute noch einmal servieren dürfte und noch einmal sehen könnte, wie Du schmaust und Dich freust, weil Du ja zählen kannst und ganz genau weißt, dass Micha, Dein Fürsprecher und Lieblingszweibeiner Dir eine mehr zugesteckt hat, als all den anderen.
Ich kann es nicht ungeschehen machen – nicht dass ich nicht immer nett war zu Dir und auch nicht, dass Du uns für immer verlassen hast, aber als der Tierarzt anrief und die schwerste Entscheidung von uns verlangte, nein erwartete, weil es keine Rettung mehr gab, nur noch die Erlösung, wurde mir erst bewusst, dass ich Dich nicht weniger liebte, als Micha es je tat. Nur dass ich es Dir nie zeigen konnte, solange Du lebtest, denn als der letzte Hauch des Atems Dich verließ, kam er zu mir und weckte all meine verborgenen Gefühle, die Dir zu schenken es doch zu spät war. Ich weiß, dass es gut war, Dich gehen zu lassen, schenkte Dir der Tod doch das Ende von Qual und vom Leid, doch Du fehlst uns noch immer so sehr ...
In Memoriam Sambuco B 08. Juni 1987 – 04. Juli 2001
An einen einzigartigen Freund
Wie still es scheint- Jetzt da niemals mehr dein Wiehern Fanfaren gleich laut und fordernd wird erklingen und niemals mehr deine Hufe Trommelwirbel auf die staubige Erde schlagen
Wie leer es scheint – Jetzt da niemals mehr dein Blick dem meinen wird begegnen aus deinem dunklen großen Auge und niemals mehr deine Lippen zart meine Hand erforschen wohl wissend: es wartet ein Geschenk an dich darin
Wie sinnlos es scheint- Jetzt da du der sieggewohnte Kämpfer verloren hast und dich der Macht des Todes beugen musstest der dir Erlösung schenkte von Qual und Schmerz
Wie dunkel es scheint- Jetzt da dein Lebenslicht erloschen ist
Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub (Antoine de Saint Exupéry)
Wunderschön geschrieben. Danke. Ich habe abwechselnd grinsen und heulen müssen und ich habe viel wieder erkannt. Vieles von dem was Du beschreibst kann ich auch bei seiner Tochter "Blue Sally" wiederfinden - aber jetzt weiß ich wenigstens von wem sie das hat ...
Tolle Geschichte über ein wohl außergewöhnliches Pferd.
Nachdem ja dein weltbester Ehemann Micha in deinen Geschichten immer wieder auftaucht und wohl auch großen Anteil am Erfolg der Pferde hatte, würde ich gerne mal ein Foto von ihm sehen, damit man ihn sich besser vorstellen kann. Reitet er auch? Bisher trat er ja in deinen Erzählungen immer außerhalb des Sattels in Erscheinung.
Bei der Geschichte mit Irco habe ich auch Tränen gelacht. Vorallem hatte ich es bildlich vor Augen wie Du mit den Reithosen und den Reitstiefeln gekämpft hast.
Die Geschichte von Sambuco ist ein Wechselbad der Gefühle. Ihn hätte ich auch sehr gerne persönlich kennengelernt. Ich hatte bei vielen Sätzen sofort wieder Samba vor Augen. Sie hat eine Menge von seinen Charakterzügen geerbt.
Danke Ihr Lieben ... und ja, er hat seinen Kindern immer viel von seinem Charakter mitgegeben und manche bewegen oder bewegten sich wie er, auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn.
Sehr gut erinnere ich mich noch an seinen Sohn Smooth Operator. Bei dem wunderte ich mich ja während der Leistungsprüfung, warum die Bereiter ihm den Kopf immer so hochzogen und ihm kein Vorwärts -Abwärts erlaubten ... bis ich ihn zum ersten Mal selbst ritt und der Lümmel meine nachgebende Hand gleich dazu nutzte, seinen Kopf zwischen die Vorderfußwurzelgelenke zu ziehen, um dann einen Katzenbuckel zu machen, bei dem ich alle Mühe hatte, mich oben zu halten.
Trotzdem habe ich alle seine Söhne und Töchter als leistungsbereite Pferde kennen gelernt und ich bedaure es sehr, dass ich keine seiner Töchter oder Söhne behalten habe. Schön ist es aber, dass ich immer mal wieder von Sambuco-Kinder-Besitzern gefunden werde und mich dann, wie im Fall von Samba, über Fotos freuen darf, in denen ich auch immer ein bisschen meinen "Buggi" wiederfinde.
Petra - ist Blue Sally eines Deiner Pferde? Und ist sie eine direkte Sambuco-Tochter? Gibt es Fotos von ihr?
Apropos Fotos. Von Micha gibt es nicht so viele Bilder. Er lässt sich ungern fotografieren. Ich habe aber noch ein älteres Foto, wo wir zusammen mit Schimmi abgelichtet wurden:
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Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub (Antoine de Saint Exupéry)
und fast hätte ich es vergessen: Micha hatte, als ich ihn kennen lernte, durchaus schon Reiterfahrung gemacht. Er hatte als Kind auch Reitunterricht, machte sogar Urlaub auf dem Reiterhof (daher kann er auch misten), seine Ex hatte auch ein Pferd und er hatte vor meiner Zeit oft Freunde in der Heide besucht, die mit ihm ausritten.
Insofern war ihm die "Materie Pferd" durchaus schon bestens vertraut, als wir uns kennen lernten. Eine so hohe Dosis Pferd, wie er sie bei mir schlucken musste, war ihm davor aber noch nicht verabreicht worden - aber zumindest hat sie ihn keinesfalls abgeschreckt ;-)
Wobei ich froh war, dass er kein ehrgeiziger Turnierreiter war, wie es mein Exmann und mein Exfreund waren. Beide waren Vielseitigkeitsreiter mit Herz und Seele und wenn ein Paar zu Konkurrenten im Sport wird, ist das nicht immer gut. Ich will nicht in Frage stellen, dass es nicht auch Vorteile gibt, die sich aus der Leidenschaft für den gleichen Sport ergeben. Ich musste beispielsweise vor der Zeit meiner Beziehung mit Micha nie für die verbrachte Zeit im Stall rechtfertigen, weil beispielsweise mein Exfreund immer vier bis fünf Trakehnerpferde hatte, als Schmied arbeitete und der Großteil unseres Lebens sich im Stall abspielte. Ich musste nie diskutieren, ob und wie viele Turniere ich reite - höchstens mal, wer welches Pferd vorstellt.
Mit Micha war das Anfangs dann schon auch öfter mal ein Diskussionspunkt, weil er nicht so begeistert war, wenn ich jedes Wochenende zum Turnier oder zu Kursen fuhr und er dann entweder mit musste oder alleine zuhause saß ;-)
Trotzdem war es mit ihm deutlich entspannter, als mit meinen "Reiter-Exen", denn mit Micha ritt ich zusammen ins Gelände und er versuchte nie, sich zu meinem Trainer zu erheben, mir vorzuschreiben, wie ich ein Pferd zu reiten habe und die Ausflüge zu Pferd waren mit ihm immer entspannend.
Er war dann auch derjenige, der beschloß, dass er den Hafi-Freiberger-Mix kauft, damit er auch ein eigenes Reitpferd hat, als wir die Pferde nach Hause holten, obwohl wir ja die beiden Trakehner hatten.
Auch für den Forsthof war er gleich Feuer und Flamme. Am Anfang ist er auch noch öfter mal geritten oder wir sind zusammen durchs Gelände galöppelt. Aber ich fürchte, dass für uns alle die Dosis Pferd dann irgendwann zu hoch wurde.
War Micha früher sein Familiensonntag heilig, waren wir nach dem Forsthof-Kauf jedes Wochenende in Sachen Pferde unterwegs: Turniere, Pferdekäufe, Fohlenschauen, Hengstpräsentationen, Stuteneintragungen, Leistungsprüfungen, Körungen und Messebesuche füllten unsere "freie" Zeit aus.
Er hatte ja, als wir uns kennen lernten, durchaus gewusst, auf was er sich mit mir einlässt und damit auch nie groß gehadert, aber die Freude an den Pferden ist leider auch immer mehr dem Erfolgsdruck und dem Weg der angestrebten Wirtschaftlichkeit gewichen. Insofern bedeuten die Pferde heute für Micha nicht Spaß und Entspannung, sondern Füttern, Misten, Futter holen, Pferde rausbringen, Pferde reinbringen, Zäune flicken und reparieren, was bei Frost wieder irgendwo kaputt gefroren ist.
Früher hatten wir zwei Pfleger und einen Bereiter, die uns unterstützen und da waren die Pferde für Micha der Ausgleich zur Architektur. Ich denke, dass wir uns wohl, wenn wir den Kampf gegen den OOWV endlich gewonnen haben und wissen, wie es nun genau weiter geht, auch wieder Hilfe im Stall holen werden und Micha sich dann auch wieder intensiv seiner Berufung widmen kann, sodass er die Pferde wieder als Ausgleich und Freude empfindet. Ob er sich unbedingt wieder in den Sattel schwingen wird, bezweifle ich zwar, denn ich versuche es schon zu verhindern, dass er Lilo rein- und rausbringt, weil er ihm Sachen erlaubt, die mir widerstreben. Zum Reiten müsste er sich schon ein anderes Pferd suchen - und so viele, denen man einen Gelegenheitsreiter anvertrauen kann, gibt es hier nicht.
Aber auch wenn Micha eher kein Naturtalent im Sattel ist, bewundere ich seine Sicherheit und Selbstverständlichkeit, mit der er mit den Pferden umgeht. Darin hat er definitiv mehr Talent als ich ;-)
Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub (Antoine de Saint Exupéry)
Sabine, Blue Sally ist eine Tochter von Sambuco, 1995 geboren, und Filos Mutter. Und auch in seiner Enkelin erkenne ich so einige Charaktereigenschaften wieder.....
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09.06.2016 20:17
Antworten
Sehr schön, habe mich köstlich amüsiert beim lesen! 
sehr schöne Geschichten.
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