Neulich am Stall...

... kam bei uns das Thema auf: "Reiten können". Was bedeutet denn "Ich kann reiten"? Oder "xy kann reiten/kann nicht reiten"?

Ist es der banale Ansatz: Ich halte mich auf dem Pferd und kann Tempo und Richtung bestimmen? Ich reite so-und-so lange? Ist es ein zügelunabhängiger Sitz? "Unsichtbare" Hilfengebung? Mut, Riesenhindernisse zu überwinden? Ist es das Hintergrundwissen, welche Ziele ich mit dem Reiten oder mit der Ausbildung des Pferdes verfolge? Der rote Faden? Die Fähigkeit, Schwierigkeiten zu meistern oder Probleme zu lösen? Oder womöglich "einfach nur" die Fähigkeit, loszulassen und mich tragen zu lassen? Oder, oder, oder?

Wir sind natürlich zu keinem wie auch immer gearteten Ergebnis gekommen, und das werden wir hier wohl auch nicht. Aber mich interessieren Eure Gedanken dazu. Habt Ihr Lust?



Vorab habe ich noch ein, wie ich finde, wundervolles Zitat zu diesem Thema, das in letzter Instanz natürlich schon sehr viel vorweg nimmt...:

"Er war ein adliger Caballero und hatte sich Zeit seines Lebens mit Pferden beschäftigt. Man sagte ihm nach, dass er nicht nur ein sehr würdiger, bescheidener Mensch sei - jedermann, der ihn reiten sah, war begeistert von diesem Bild und zutiefst beeindruckt von seiner Reitkunst.
Als er schließlich im Alter von 96 Jahren auf dem Sterbebett lag, bat er seinen Neffen zu sich, um sich von ihm zu verabschieden. Und so geschah es. Als sich der Neffe dann schließlich abwenden und das Zimmer verlassen wollte, sah er zum erstenmal Tränen im Gesicht des Alten. Noch einmal ergriff dieser die Hand des jungen Mannes und sagte leise: "Es ist schon ein Pech, dass ich gerade jetzt sterben muss."
"Warum?" fragte ihn der Neffe, zärtlich die Hand des Alten streichelnd. "Für jeden Menschen kommt einmal die Zeit - und dein Leben war lang, glücklich und reich!"
"Ja", sagte jetzt der Alte. "Du hast schon recht, aber es war doch erst vor ungefähr einer Woche, als ich zum erstenmal begriffen hatte was es heißt, ein Pferd wirklich zu reiten!"
(KFH)

Ich denke die Definition von "Reiten können" kann man immer nur am jeweiligen Level der diskutierenden Parteien fest machen.

Für einen Nicht-Reiter kann wer reiten, der sich irgendwie am Pferd halten kann.
Für einen Reit Anfänger kann wer reiten, der das Pferd in allen 3 Gangarten tummelt, egal wie und wohin.
Für einen "manierlichen" Reiter kann wer reiten, der sein Pferd in allen 3 Gangarten zielgerichtet und im gewünschten Tempo punktgenau herumsteuert und dabei eventuell Hindernisse mehr oder weniger überwindet.

Die Liste ist beliebig erweiterbar und endet eigentlich da, wo Deine Geschichte anfängt:
Bei dem alten Mann, der letztlich begriffen hat, daß man Reiten wohl nie wirklich lernen kann.


Was mich an sehr vielen, die von sich behaupten daß sie "reiten können" immer immens erschreckt ist die oft totale Ahnungslosigkeit die alle Sparten und Aspekte der Reiterei und Pferden betrifft, die sich außerhalb der eigenen Suppenschüssel befinden.

Ich habe übrigens auch so eine Geschichte, die für mich irgendwie ausdrückt, was ich gerne irgendwann erreichen würde:





Ich traf ihn an einem Morgen, die man nur im Süden Kaliforniens kurz nach der Jahrhundertwende erleben konnte.
Die Sonne schien warm auf einen Teppich knietiefen Grases, der sich über die Hügel spannte, welche das San Gabriel Valley umrunden und die Orangenbäume standen in Blüte.
Das Grün der Bäume verschmolz mit den schatten der Sierra Madres, deren höchste Gipfel schneebedeckt waren. Um mich her breitete sich ein südkalifonisches Panorama aus, wie ich es stets in liebevoller Erinnerung halten werde.


Er kam, aufrecht in seinem hochhornigen Sattel sitzend, herangeritten, die Zügel delikat in den Fingern der linken Hand haltend. Ich erkannte ihn sofort als einen „Hijo del pais“ einen Sohn des Landes. Er war ein alter Mann. Sein bärtiges Gesicht war faltig und verwittert, jedoch mit jenem Touch von Rasse, der den alten Kaliforniern stets eigen war.

Er ritt eines der feinsten Pferde, die ich je sah – einen leuchtend Rotbraunen mit schwarzen Beinen und ohne ein einziges weißes Haar, selbst seine Hufe waren schwarz. Trotz meiner Jugend und Unerfahrenheit war mir die Klasse dieses Pferdes doch gleich offenkundig als der alte Mann herankam und neben mir anhielt.

Damals gab es noch einige wenige der alten „reinsmen“: Nicolas Covarrubias, Mariscal Lugo, Jose Ibarra, Reiter einer vergangenen Ära, die mitsamt den spanischen Rindern und den „cimarones“, den Mustangs lebten und heute Legende sind.

Er begrüßte mich in dem halb spöttischen Tonfall in dem alte Männer jener Zeit mit jungen Burschen sprachen.

„Ah, vagamundo, para donde vas – ah Vagabund, wohin willst Du?” Ich war wohlerzogen genug, ihm seines grauen Haares wegen respektvoll zu antworten.

„Tio, vine a verlo trabajar su caballo – Onkel ich kam, um Sie Ihr Pferd reiten zu sehen.“

Der alte Mann lächelte.

Sein Pferd stand absolut ruhig da, nur seine Ohren spielten vor und zurück. Der alte Mann bewegte seine Füße – die Sporenketten rasselten auf dem Metall des Steigbügelbodens. Im selben Moment war das Pferd hellwach. Seine Ohren nach rückwärts gewandt zeigten seine ganz auf den Reiter gerichtete Aufmerksamkeit. Der alte Mann nahm leicht die Zügel auf und drehte die Zügelhand im Gelenk nach links. Das Pferd wirbelte auf der Hinterhand linksherum. Der alte Mann drehte die Hand ebensoleicht nach rechts und das Pferd wirbelte rechtsherum. Der alte Mann hob die Zügelhand in wenig an und schüttelte die Zügel leicht – das Pferd trabte rückwärts. Plötzlich lehnte der alte Mann sich nach vor, und sofort sprang das Pferd vorwärts und hielt an, als er ihm die Zügel wieder auf den Hals legte. Der alte Mann ritt im Schritt etwa zweihundert Meter weit und wendete dann in meine Richtung. Er stand für einen Moment still, dann nahm er die Zügel auf und lehnte vorwärts. Das Pferd sprang in den Galopp und kam in voller Karriere auf mich zu. Unmittelbar neben mir legte der alte Mann die Schenkel an und hob die Zügelhand, zog jedoch nicht an den Zügeln. Das Pferd machte einen „sliding Stop“. Hätte der alte Mann ein Glas Wasser in der Hand gehalten, nicht ein Tropfen wäre verschüttet worden.

Ich musste an die Geschichten denken, die meine Großmutter mir erzählt hatte, von Reitern, die um die Wette ritten, um ihr ein Glas Wein zu bringen, Tabletts mit Gläsern in der Rechten. Das war auf den „Fiestas“ in Los Angeles, vor hundert Jahren, als sie und Kalifornien gemeinsam jung waren,…

Hier hatte ich vollkommene Harmonie gesehen, ein Pferd im Einklang mit seinem Meister.
Wir pflegen zu sagen, dass ein Mensch, wenn er ganz inbrünstig etwas wünscht, beten würde. Wenn das so ist, dann habe ich damals gebetet, den ich wünschte mir mit aller Macht, dass ich eines Tages ein Pferd so würde Reiten können, wie der alte Mann es tat.
Mit lose hängenden Zügeln hatte er es mit Gewichts- und Schenkelhilfen gelenkt – geschmeidig, rhythmisch und wunderschön anzusehen!

Arnold Rojas in seinem Buch „These were the Vaqueros“ aus dem Buch „Westerntraining“ von Hardy Oelke.

Hach, ich könnte ganze Bücher füllen, mit der Aussage "ich kann reiten" und dann kommen sie noch nicht mal vom Hof runter.
Für mich fängt reiten an, wenn man nicht nur einigermaßen Passagier ist, sondern anfängt das Pferd gezielt zu beeinflussen, auch wenn das Pferd grade andere Pläne hat. Dann hat man schon ein unteres Level von aktivem Reiten erreicht. "Fertig" ist man eh nie, aber man kann dann schon reiten.