in den vielen Jahren, in denen ich nun mit Pferden zu tun habe, sind mir die unterschiedlichsten Pferde-Charaktäre begegnet, die vollkommen unterschiedlich behandelt werden wollten. Nun fällt mir seit Längerem vermehrt auf, dass viele Pferdebesitzer die deutlichsten Verhaltensweisen ihrer Pferde komplett fehleinschätzen oder gar ignorieren.
Oft sehe ich, wie man sich seinem Pferd nähert und sofort mit fahriger Bewegung an den Kopf oder die Nase gefasst wird und so manches Pferd dabei genervt den Kopf hochreißt oder zurücktritt, weil es die Annäherung als komplett unhöflich und übergriffig empfindet. Solch ein Verhalten wird dann komplett ignoriert, und es wird jeden Tag so wiederholt.
Oder das Pferd wird nach dem Reiten unter dem Solarium oder auf der Stallgasse „geparkt“, ohne zu bemerken, dass es dringend pinkeln muss. Das Zappeln des Pferdes wird dann oft rüde kommentiert oder gar bestraft, und ich kann den verzweifelten Gesichtsausdruck des Pferdes erkennen, das sich so sehr einen weichen Boden unter den Hufen wünscht.
Das sind nur zwei Beispiele, die ich hier nenne, und ich frage mich ernsthaft, ob sich die heutigen „Pferdemenschen“ eigentlich kein Wissen mehr rund um das Pferd aneignen, sei es, dass man sich über Lektüre schlau macht, oder es von den Reitlehrern gelehrt bekommt.
Geht es heute nur noch um das Reiten an sich? Ist das Pferd vermehrt zum Sportgerät auch im Freizeitsegment geworden? (Von vielen Turnierreitern kennt man die Problematik ja leider schon seit vielen Jahren.) Ist man nicht mehr daran interessiert, was sein Pferd fragt und antwortet?
Das selbstverständliche "Begrapschen" des Pferdekopfes hatte ich vor einiger Zeit bei einer Bekannten moniert, die bei mir auf dem Hof war. Grosses Erstaunen, dass das nicht ok ist - "ja aber warum denn - ich tu ihm doch nix - will doch nur Hallo sagen - der hat auch gar nicht gescheut oder so ... " . Null Verständnis. Dann trafen wir uns auf einem Anatomie-Kurs wieder. Der Kursleiter : "niemand fasst hier einfach so ein Pferd an - erst wird das Tier gefragt - und der Kopf ist sowieso tabu, ausser das Pferd streckt ihn uns hin" - Allgemeines Erstaunen - Besitzer der Pferde (auf dessen Hof der Kurs stattfand) : "die sind alle brav, die kann man überall anfassen" - Kursleiter : "die Gruppe ist hier, um zu lernen und das ist das erste Gebot der gegenseitigen Höflichkeit" . Da kam ein Blick meiner Bekannten in meine Richtung, den ich nicht deuten konnte. Entweder dachte sie "die sind hier ja genau so bekloppt wie du" - oder sie revidierte gerade ihre Meinung über mich
Mittlerweile differenziere ich zwischen "Pferdemenschen" und "Menschen mit Pferd"
Ich glaube, das Problem besteht unter anderem darin, dass immer mehr Menschen ein Pferd ihr Eigen nennen, ohne zuvor eine langjährige Lernzeit zu erleben, wie wir das in unserer Kindheit und Jugend noch hatten. "Man hat ein Pferd" und damit ist man automatisch auch mit allumfassendem Wissen gesegnet. Besonders über das eigene Pferd weiß niemand so gut bescheid, wie diese selbsternannten Fachleute. Sprich: Beratungsresistent. Ein Großteil dieses "Wissens" entspringt nicht mehr der Lehre und dem Studium altgedienter Pferdekenner und auch nicht den eigenen Erfahrungen, die man über die Jahre angesammelt hat. Sondern man kennt sich per se aus, weil man ja ein eigenes Pferd hat. Mögliche Wissenslücken werden in den Weiten des www gestopft, aber nicht im richtigen Leben.
Ich bin ganz bei Euch mit den Beobachtungen ... und was mich noch mehr erschreckt, ist, daß es oft jene Pferdebesitzer sind, die an sich sogar versuchen, ihr Pferd so "fair und human" wie möglich zu behandeln - die dann die grundlegendste Körpersprache ihres Pferdes nicht lesen bzw interpretieren können.
Witzigerweise können fast alle Menschen die Körpersprache von Cuvee lesen und deuten - die allerdings auch eine deutliche Mimik hat und regelrecht "spricht".
Aber sobald es dann an die eigenen Pferde geht - ist da völliges Unverständnis. Und das von Menschen, die teils deutlich älter sind als ich und auch schon lebenslang Pferdebesitzer und Reiter sind.
Manchmal versuche ich vorsichtig zu dolmetschen, wenn es gar zu überdeutlich ist - da kommt dann ein "meinst Du das wirklich" zurück, dann ein prüfender Blick zum Pferd und dann gibt es eine ca 50:50 Chance daß ein "ach ja, stimmt" oder einen "nein, das glaub ich nicht" folgt
Wobei ich das Unverständnis nicht wirklich den Reitschulen oder Ausbildnern anlasten möchte... ich bin mir ganz sicher, daß dieses "Körpersprache lesen können" auch erst ganz gezielt und lange gelehrt werden müßte, um es tatsächlich interpretieren zu können. Aber nur wenige Leute nehmen sich die Zeit dafür fürchte ich...
Ach, wir Menschen sind doch solche Grobmotoriker in den Augen der Pferde. Pferde nehmen kleinste Muskelbewegungen wahr und können sie meist auch sehr gut interpretieren. Der Mensch braucht schon fast die Zähne im Arm oder den Huf vor dem Schienbein, um zu reagieren. An manchen Stellen liegt es doch an der Ausbildung. Wie häufig wird gesagt: "Der/Die verarscht dich nur." "Da muss er/sie jetzt durch" u.ä. Manche trauen sich vielleicht auch gar nicht, weil sie häufig für ihr sensibles Verhalten belächelt wurden. Andere wieder sind zu sensibel und machen aus jedem Zucken des Pferdes ein Drama und damit die Situation nun auch nicht unbedingt besser, weil sie immer unsicher auf das Pferd wirken.
Ich möchte mir auch manchmal die Augen ins Kopfinnere rollen, wenn ich sehe, wie die Leute ihre Pferde interpretieren und mit ihnen umgehen. Andererseits beobachte ich, dass auch die Pferde entsprechend agieren und viel rüpelhafter sind als Pferde, auf deren Signale feiner eingegangen wird.
Pferde sind in ihrem Ausdrucksverhalten meist zu wenig "offensiv". Wenn ein Hund nicht angefasst werden moechte, dann knurrt er evt. Das ist für Menschen verständlich und die lassen es. Ein Pferd dreht sich weg oder geht. Die Leute verknüpfen das aber nicht mit ihrem Verhalten. Und wenn Pferd mal deutlicher spricht (Ohren anlegen oder treten) dann ist es ungezogen oder aggressiv. Wir möchten ja auch nicht von fremden Leuten am Kopf getätschelt werden. Gott sei Dank sind die meisten Pferde aber so gute Seelen, dass sie einem nicht alles krumm nehmen.
Zitat von Cancanca im Beitrag #1Hallo liebe Foris,
Das sind nur zwei Beispiele, die ich hier nenne, und ich frage mich ernsthaft, ob sich die heutigen „Pferdemenschen“ eigentlich kein Wissen mehr rund um das Pferd aneignen, sei es, dass man sich über Lektüre schlau macht, oder es von den Reitlehrern gelehrt bekommt.
Welche Erfahrungen macht ihr in eurem Umfeld?
Kann Dir nur zustimmen, kaum jemand hat mehr nen Plan, zumindest gefühlt...
Das ist wirklich ein Thema, was mich tagtäglich irritiert oder ärgert. Wenn das Pferd schon ein Spruchband über den Kopf trägt und es niemand liest ... Oder als bestes Beispiel aus meinem Stallleben: Ich bekam die Erlaubnis, Jaleoso zu einem zweiten Spanier auf das große Paddock zu stellen, dass "S" seit Jahren alleine bewohnt *gäähn*. Die beiden haben sich erstmal vorsichtig genähert und dann aber sehr schnell das Spielen angefangen. Alles unter den Argusaugen der Besi. Am nächsten Tag war "S" schon draußen als ich mit Jaleoso aus dem Stall kam. "S" startete laut wiehernd hinten durch und kam mit leuchtenden Augen an's Gatter. Jaleoso zog ebenfalls am Strick Richtung Paddock. Die beiden gingen mit Highfive aufeinander zu und haben vom Fleck weg unter mächtig akustischer Untermalung das Rangeln begonnen - aber richtig witzig - ganz ohne treten oder beißen - einfach nur rangeln! Die andere Besi höchst besorgt. Ich "die haben nen Mordsspaß!" So ein freundschaftliches Rangeln habe ich in DER Ausführung noch nie gesehen!!! Nächster Tag: die andere Besi "ich weiß nicht, ob wir das wieder machen sollen. Ich glaube "S" mag Jaleoso nicht ..." Ich "Häh!? Die finden sich beide superklasse!" "Naja ..." Und so kam es, wie es kommen musste. Die beiden Pferde hatten noch einen letzten SEHR unterhaltsamen Nachmittag miteinander und als die andere Besi sah, wie die beiden mal Männchen machten, hat sie sofort das Projekt abgebrochen. *seufz* Selten, dass sich zwei Pferde auf Anhieb SO gut verstehen - und das dann von der Besi so total falsch interpretiert wird. Die nächsten Tage kam "S" immer laut wiehern an's Gatter galoppiert, wenn ich mit "J" um die Ecke kam. Beide Pferde konnten gar nicht verstehen, warum sie nicht mehr zusammen sein sollten ...
Naja - und ansonsten gibt es noch all die Fälle von falscher Körpersprache von Seiten des Menschen beim Putzen, Führen, Longieren, Verladen usw.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute als Kind reiten "gelernt" haben und nun entweder glauben, sie wüssten damit alles, was es zu wissen gibt und hätten es nicht nötig, sich noch etwas anzulesen oder aber schlicht zu dumm sind. Es tut mir leid, aber mir begegnen immer wieder Menschen, die sind dumm wie 10 Meter Feldweg (ohne dass ich jetzt ein 2. Albert Einstein wäre), die überblicken doch so ein komplexes System Pferd gar nicht.
Und ich muss leider @küwi widersprechen: Wenn man den richtigen Umgang mit Pferden, also nicht nur: Wie schnalle ich die Sporen richtig um und wie benutze ich den Striegel richtig, sondern auch Körpersprache u.a. nicht in der Reitschule lerne, wo denn dann? Ich finde, da müsste viel mehr Wert drauf gelegt werden, dass schon Kindern beizubringen...
Ich kann auch allen nur zustimmen, Tiere lesen lernen steht nirgends mehr auf dem Lehrplan! Egal ob Hund, Katze oder Pferd. Wenn's nicht paßt, ist das Tier schuld, es kommt ne "Nanny" mit mehr oder weniger fragwürdigen Methoden. Lektüre ist ja anstrengend und kostet Zeit! Da gibt es ja keine APP für, die mit 2-3 kryptischen Wörtern die Zauberformel spricht
Ich selbst hätte immer noch panische Angst vor Hunden (nach zwei Angriffen von Doggen in Kindertagen), wenn ich mich nicht "auf den Allerwertesten" gesetzt hätte und Hunde lesen gelernt hätte - im Ausland, da ist der Umgang zwangloser gewesen.
den Esel, der Maria erst rumschleppt und dann im Stall rumliegt
Auszeichnung
Flop
1
Top
1305
Umfeld habe ich zwar seit vielen Jahren nicht mehr, aber ich denke da ist vieles wieder einfach Bequemlichkeit, wie in der heutigen schnelllebigen Zeit so oft. Und viele Leute sind für mich eigentlich auf deutsch gesagt einfach zu dämlich Tiere zu halten, eben weil sie nur Schwarz und weiß sehen und nach ihrem Schema x verfahren.
Und ich muss leider @küwi widersprechen: Wenn man den richtigen Umgang mit Pferden, also nicht nur: Wie schnalle ich die Sporen richtig um und wie benutze ich den Striegel richtig, sondern auch Körpersprache u.a. nicht in der Reitschule lerne, wo denn dann? Ich finde, da müsste viel mehr Wert drauf gelegt werden, dass schon Kindern beizubringen...
Du widersprichst mir nicht wirklich
Das Ausbilden ist ja eine Sache und gehört auch folgerichtig zu den Reitschulen und Ausbildnern. Aber die Bereitschaft, auch den Umgang lernen zu wollen (!) muss von den Menschen selber kommen - und da happert es gewaltig
ABER: So viele Leute wollen doch "diesen Quatsch" gar nicht lernen und wechseln den Unterricht, weil sie nach 2 Wochen noch ( Achtung: überzogener Sarkasmus! ) immer nicht über Hindernisse springen, Sporen und Schlaufer einschnallen, den tollen S-Kracher reiten, die ultra Stops und Spins reiten usw... dürfen
Leider zeigen ja so Fernsehformate wie die Pferdeprofis oder hundkatzemaus in den meisten Fällen tatsächliche Fälle aus der Realität bei denen sich bei echten Pferdemenschen (wie uns ) die Zehennägel aufrollen. Aber sieht man sich dann die Reaktionen von ebenfalls reitenden bzw pferdebesitzenden Menschen in den sozialen Medien an, dann kann man sich nur fragen, wie die im täglichen Leben mit den armen Tieren umgehen
Also, in den Reitschulen, die es so üblicherweise gibt, wurde und wird doch so etwas überhaupt nicht gelehrt. Wenn man Glück hat, darf man vielleicht sein Pferd selber putzen und satteln, öfters bekommt man es vom vorherigen Reiter übergeben. Wo sollte denn dabei irgendetwas über die Ausdrucksweise von Pferden vermittelt werden?
Selbst im "alternativen" Reken wurde da nicht allzu viel drüber erzählt.
Da muß man sich schon selber belesen bzw. konkrete Kurse besuchen, wenn man mehr darüber lernen will. Oder aus der Praxis lernen durch viel beobachten.
Larissa, das stimmt. Aber ich wundere mich über jahrelange Pferdebesitzer, die das Miteinander mit ihren Pferden nicht auf die Reihe bekommen, weil sie diese Thematik offensichtlich nicht interessiert. Sie lesen im Netz alles, wissen, wo welche Reiter auf welchem Turnier wie abgeschnitten haben, sind auf dem neuesten Stand, was den neuesten Schrei in Sachen Ausrüstung und Klamottage angeht, staunen aber Bausteine, wenn man ihnen aufzeigt, wie ihre Pferde im Umgang mit ihnen kommunizieren und vor allen Dingen, WARUM sie es tun.
Gerade heute habe ich vor dem Unterricht einer Reitschülerin wieder erklären müssen, wie sie auf welches Verhalten ihres Pferdes wie reagiert. Und das ist eine Frau mittleren Alters, die seit vielen Jahren Pferde besitzt. „Du weißt so viel und bist so belesen“, hieß es heute. Da kann ich eigentlich nur mit dem Kopf schütteln.
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06.01.2019 15:01 (zuletzt bearbeitet: 06.01.2019 15:02)
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) die Zehennägel aufrollen.
Wenn man Glück hat, darf man vielleicht sein Pferd selber putzen und satteln, öfters bekommt man es vom vorherigen Reiter übergeben.